Bauhaus im Bienenhaus
Es scheint einen Zusammenhang zu geben zwischen der zunehmenden Verarmung der Umwelt und der Kultur. Die Menschen verändern und schädigen die Umwelt – ihre eigene und die der Honigbiene – immer stärker dergestalt, dass die symbiotische Beziehung zwischen ihnen und der Honigbiene großen Schaden leidet.
Di 1. September 2015 von Gastautor*in Kunst&KulturWenn von Bienen gesprochen wird, so denken viele an schwarz-gelb gestreifte Blütenbestäuber welche, vor allem im Sommer in den Gärten summen, von Blüte zu Blüte fliegen und – stechen!
Viele werden auch Wespen, welche es in großer Vielfalt, vor allem zum Ende des Sommers, an die Teller der Menschen zieht, als Bienen bezeichnen. Und so Unrecht haben sie dabei nicht. Denn auch die Wespen gehören, wie auch die Ameisen, die Hummeln und die Bienen (zu denen wiederum unsere Honigbiene zählt) zu der biologischen Teilordnung der Stechimmen. Und in diesem Wort steckt bereits das Wort Imme, das mittelhochdeutsche Wort für Biene, abgeleitet vom althochdeutschen Imbe, dem Bienenschwarm.
Symbiotische Beziehung zwischen Mensch und Honigbiene
Der Mensch hat schon sehr früh die Bedeutung der Honigbiene erkannt, nicht zuletzt deshalb, weil diese als Kulturfolgerin, in einer echten Symbiose, sich mit dem Menschen über Jahrtausende hinweg gemeinsam entwickelt hat. Es ist zu vermuten, dass die Honigbiene den Sprung vom sozialen Insekt zum staatenbildenden Insekt nur infolge der Lebensweise des Homo Sapiens Sapiens machen konnte, welcher schon früh in seiner Entwicklung immer wieder die sich nach der Eiszeit ausbreitenden Wälder gerodet hat und dadurch den Blühpflanzen, welche wiederum für die Bienen wichtig waren, die Möglichkeit gab sich entsprechend zu entwickeln. So entwickelte sich eine symbiotische Beziehung zwischen Mensch, Honigbiene und Nutzpflanzen, die bis heute anhält. Die kulturelle Entwicklung der Menschheit wäre ohne die Honigbiene mit Sicherheit anders verlaufen.
Bauhaus – eine gelebte Realität bei den Bienen
Da sich in symbiotischen Beziehungen die Partner immer gegenseitig beeinflussen, ist es legitim einen Zusammenhang zwischen dem Bienenstock als architektonischem Bauwerk und dem Bauhaus, der 1919 von Walter Gropius in Weimar gegründeten Kunstschule für Architektur, Kunst und Gestaltung, herzustellen. Im Bauhaus wurden die traditionellen Bereiche der bildenden Kunst, der angewandten Kunst und der darstellenden Kunst miteinander verbunden. Bei den Bienen ist, so gesehen, Bauhaus schon seit jeher, also seit Entstehung der Gattung Honigbiene, eine gelebte Realität.
Das mag erst mal sehr skurril klingen, ich leite diese Behauptung aber ganz einfach aus dem Gestaltungsleitsatz des Bauhaus ab: „(Die) Form folgt (aus der) Funktion“. Perfekter als eine Bienenwabe kann keine Bauhausgestaltung sein, sie zeigt sich in optimaler Raumausnutzung, höchster Stabilität bei geringstem Materialaufwand und Eigengewicht, leichter Verarbeitbarkeit des Rohmaterials (Bienenwachs) und besten thermischen Eigenschaften.
Form folgt Funktion – perfekter als eine Bienenwabe kann keine Bauhausgestaltung sein.
Form folgt Funktion – perfekter als eine #Bienenwabe kann keine #Bauhaus|gestaltung sein.
Untereinander verständigen sich die Bienen mit verschiedenen Summ- und Brummtönen sowie mit den bekannten, so genannten Rund- und Schwänzeltänzen. Nebenbei ist die Bauweise der Bienenwaben in perfekter Weise dafür geeignet die Töne und die Vibrationen der Tänze an andere Individuen im Stock weiterzugeben. Auch hier folgt die Form der Funktion.
Der Bien – eine Basisdemokratie
Den gleichen Grundsatz kann man, wenn man will, auch aus dem Gesamtorganismus des Bienenvolkes herleiten, denn die soziale Form des Zusammenlebens im Bien, so bezeichnet der Imker das gesamte Bienenvolk, ist hoch entwickelt und, anders als die landläufige Meinung, keine Monarchie. Dass das vom Imker Weisel genannte weibliche Individuum im Volksmund „Königin“ genannt wird, liegt nicht zuletzt daran, dass der Mensch bei oberflächlicher Betrachtung erst mal seine eigene soziale Sichtweise „darüber stülpt“.
Bei genauer Betrachtung aber wird jeder gute Beobachter erkennen, dass die Weisel nicht die Königin des Volkes ist, sondern lediglich eine vom Bien akzeptierte, aus menschlicher Sicht könnten wir auch sagen gewählte geschlechtsreife und befruchtete weibliche Biene ist, welche die Aufgabe hat die Existenz und Reproduktion des Biens sicherzustellen. Insofern ist ein Bien alles andere als eine Monarchie, sondern, wenn ein Vergleich zu menschlichen Sozialstrukturen überhaupt angebracht ist, eine Basisdemokratie. Denn auch alle anderen „Entscheidungen“, sei es ob Arbeiterinnen, Drohnen oder neue Weisel herangezogen werden, welches Futter gesammelt wird oder ob Schwärme gebildet werden sollen, werden nicht bewusst von einem Individuum getroffen, sondern durch das Verhalten des Biens als Gesamtorganismus bestimmt.
So haben sich die Honigbienen im Laufe der Evolution zu einem extrem ökonomischen sozialen Organismus entwickelt, den wir getrost am Gestaltungsleitsatz des Bauhaus messen können und ihn, wie ich denke in legitimer Abänderung, in folgende Worte fassen können: „(Die) soziale Form folgt (aus der) sozialen Funktion“.
Zusammenhang zwischen der zunehmenden Verarmung der Umwelt und der Kultur
In den letzten Jahren ist aber eine sehr bedenkliche Tendenz immer stärker zu bemerken: Die Menschen verändern und schädigen die Umwelt, ihre eigene und die der Honigbiene, immer stärker dergestalt, dass die symbiotische Beziehung zwischen ihnen und der Honigbiene großen Schaden leidet.
Beginnend damit, dass dem Bien eine „menschengerechte“ Form der Behausung aufgezwungen wird, bis hin zur Kontrolle über Vermehrung und Selektion der Weisel und Einkreuzung von Arten anderer Regionen. Hinzu kommen Belastungen durch Pflanzenschutzmittel und Monokulturen. Das führt zum einen zu dem inzwischen bekannten Phänomen des plötzlichen Bienensterbens und zum Rückgang der Bienenvölker insgesamt, zum anderen daraus folgend zu einer Verarmung der Nahrungsgrundlage des Menschen, denn ein Großteil der pflanzlichen Rohstoffe und Nahrungsmittel sind direkt abhängig von den Bienen als Bestäuber.
Ich stelle die Frage, ob sich dieser Prozess auch in Kunst, Design und Architektur beobachten lässt? Gibt es einen direkten Zusammenhang zwischen „Bauhaus im Bienenhaus“ als verschwindendes Kulturphänomen und einer Verarmung von Kunst, Design und Architektur?
Einen direkten Zusammenhang scheint es vielmehr zwischen der zunehmenden Verarmung der Umwelt und der Kultur, als Oberbegriff für Kunst, Design und Architektur, zu geben. Kulturelle und ökologische Werte stehen in den letzten Jahrzehnten immer weiter zurück hinter den Interessen der globalen Kapitalmärkte und deren Profiteure. Dies drückt sich aus in Raubbau an der Umwelt und deren Zerstörung gleichermaßen, wie in einer Missachtung der Kunst dahingehend, dass sie nur noch als ein Objekt finanzieller Spekulationen gesehen wird, oder wie im Falle der Architektur in der Ausprägung einer Gigantomanie.
Es wird Zeit, dass wir lernen umzudenken, oder besser neu lernen zu denken. Und vielleicht sollten wir uns in vielerlei Hinsicht die Bienen als Vorbilder nehmen.
Ulrich S. Kapp
- Der Artikel ist erstmals erschienen in AMBULANZ 2, Dezember 2010.
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