Der Schwarm
Der Schwarmprozess wird heute in der Imkerei nicht geduldet, geschweige denn geschätzt. Lassen wir uns aber unvoreingenommen auf das Leben des Bien ein, so kann die notwendige Begeisterung für neue praktische Lösungen mit dem Schwarm entstehen.
So 6. Oktober 2002 von Gastautor*in BieneMenschNatur.03, Bienenkunde, Schwarmvermehrung, Wesensgemäße BienenhaltungWir Imker freuen uns, wenn die Bienenvölker im Winter zur Ruhe kommen. Jede äußere Tätigkeit erlischt. Der Stoffwechsel im Bienenstock wird auf ein Minimum reduziert. Fanden die Bienen im Spätsommer und Herbst ausreichend Pollen, so konnten sie in ihrem Körper Fett- und Eiweißvorräte aufbauen. Diese werden nun nicht im Winter von den Bienen selbst verbraucht, sondern dienen der ersten Volksentwicklung im beginnenden Frühjahr. In der Winterruhe wird nur ganz wenig von dem in den Waben aufgespeicherten Honigvorrat des letzten Sommers verzehrt. In der Ruhe reift die Kraft für eine starke Entwicklung im Frühjahr und Sommer. Nach einem kalten Winter entwickeln sich die Bienenvölker meist besonders gut.
Eine ähnliche Geste können wir aber auch zur Zeit der größten Aktivität der Bienenvölker im Mai und Juni erleben. Es ist die Zeit der Blüte und die Bienen sammeln Pollen und Nektar im Überfluss. Die Königin legt 1.000-2.000 Eier am Tag und so wachsen die Völker kräftig. Die Bienen bauen nun am Rand der aus sechseckigen Zellen bestehenden Wabe einzelne kuppelförmige Zellen, sog. Weiselnäpfchen.
Die Königin
Legt die Königin in diese Zellen Eier, so beginnt die spannendste Zeit für den Imker, mit der die dynamische Aufwärtsentwicklung einen Einschnitt erfährt. Der eingetragene Pollen fließt nicht mehr nur im „sozialen“ Futterstrom als Futtersaft für die Bienenbrut oder im Wabenbau. Er staut sich oder man könnte auch sagen: er kommt in der Einzelbiene zur Ruhe. Die Biene gibt sich nicht mehr dem Volksganzen hin, sie behält etwas für sich. Sie baut einen eigenen Fett-, Eiweiß- Speicher auf und wird dadurch langlebiger. Der Zusammenhalt im Bienenvolk löst sich. Die Imker sprechen vom „Faulwerden“, denn Nektarsammeln und Wabenbauen lassen nach.
In den kuppelförmigen Zellen werden die Königinnenlarven gepflegt. Acht Tage nach der Eiablage werden diese Zellen verdeckelt. An den kommenden Tagen können wir nun die Geburt eines neuen Bienenvolkes erleben. Zur sonnigen Mittagszeit zieht die alte Königin mit einem Teil der Bienen aus dem Stock aus. Sie bilden den Bienenschwarm, der sich dann als Traube an einen Ast ansetzt. In dieser Schwarmtraube kommt das Innehalten nochmals bis ins äußere Bild zum Ausdruck. Wie im Winter kommt der Fett-, Eiweiß- Stoffwechsel zur Ruhe. Bis zu drei Tagen kann der Schwarm von den mitgenommenen Honigvorräten leben.
Ruhe im Winter – Kraft für den Sommer, Ruhe im Sommer – Geburt der neuen Völker
Der Vorschwarm
Diese Schwarmtraube sendet nun Spurbienen aus, die eine neue Behausung suchen. Ist diese gefunden, löst sich die Schwarmtraube auf und fliegt als Schwarmwolke dorthin. Hier bildet sich die Traube wieder, sammelt sich zusammen. Und nun beginnt aus dieser Ruhe eine enorme Aktivität. Die Bienen schwitzen Wachs aus sich heraus, bauen damit Waben und bilden so die Grundlage für den neuen Bienenstock.
Etwa eine Woche nach dem Auszug des sog. Vorschwarms mit der alten Königin schlüpft die erste Jungkönigin im alten Stock (Muttervolk). Je nach „Stimmung“ im Volk schwärmt auch diese mit einem Teil der Bienen und bildet den sog. Nachschwarm. Dies kann sich mehrmals wiederholen, bis im Muttervolk nur noch wenige Bienen mit einer Jungkönigin zurückbleiben. Im Gegensatz zu den Schwärmen bleibt im Muttervolk der ganze Wabenbau samt Pollen- und Honigvorräten zurück. Selbst wenige zurückgebliebene Bienen können so – nach erfolgreichem Hochzeitsflug der Jungkönigin – das Volk erstaunlich schnell wieder aufbauen.
Der geschilderte Schwarmprozess wird heute in der Imkerei nicht geduldet, geschweige denn geschätzt. Lassen wir uns aber unvoreingenommen auf das Leben des Bien ein, so kann die notwendige Begeisterung für neue praktische Lösungen mit dem Schwarm entstehen.
In meiner Imkerei kontrolliere ich die Bienen auf den Außenständen während der Schwarmzeit im Wochenrhythmus. Um den Verlust frei abfliegender Schwärme zu vermeiden, praktiziere ich die sog. Schwarmvorwegnahme (Kaiserschnitt). Pflegt ein Bienenvolk Weiselzellen (möglichst kurz vor der Verdeckelung), so entnehme ich die Stockmutter mit etwa der Hälfte der Bienen, aber ohne Waben. Dazu stoße ich die Bienen von 2/3 bis 3/4 der Brutraumwaben in eine Schwarmkiste ab. Dieser vorweggenommene Schwarm wird mindestens 2-3 km entfernt aufgestellt und wie ein Naturschwarm gepflegt.
Der Nachschwarm
Heike Wahl sucht Königinnen im Nachschwarm. Der Nachschwarm ist nicht so einfach “vorwegzunehmen”: wir brauchen eine geschlüpfte Jungkönigin – und die fliegt am selben Tag mit dem Schwarm aus dem Stock. Ist man zeitlich flexibel, so kann man morgens am Stock lauschen, ob das Tüten einer Jungkönigin zu hören ist. In diesem Fall kann man einen Nachschwarm vorwegnehmen. Eine zweite Möglichkeit ist das Käfigen der Weiselzellen. Aber dieses “Gefängnis” bringt das Bienenvolk und die frischgeschlüpfte Königin in Stress. So arbeite ich meistens mit dem Aufteilen des Restvolkes. Dabei entnehme ich einen Teil der Brutraumwaben samt ansitzenden Bienen und einer Weiselzelle. Die Anzahl der Waben richtet sich nach meinem Ziel. Ist es Mai und ich will ein gutes Volk stark vermehren, so reicht eine Dadant Brutwabe mit ansitzenden Bienen, Weiselzelle und eine Futterwabe, um ein überwinterungsfähiges Volk aufzubauen. Einen starken Ableger bilde ich mit 3-4 Waben. Will man Nachschwärme aus diesen aufgeteilten Restvölkern sicher verhindern, darf in jedem Teil nur eine schöne Weiselzelle belassen werden. Diese schlüpft nun in “ihr” Volk, die Basis für eine vitale Entwicklung.
Es ist auch “ihr” Volk, wenn der Imker “Kuckuck” spielt. Schöne Weiselzellen aus guten Völkern können ohne Schutzmaßnahmen in aufgeteilte Restvölker weniger guter Abstammung gebracht werden. Es ist die einfachste Zuchtmethode.
Michael Reiter, Imkermeister und Landwirtschaftsmeister. Lebt mit seiner Familie von und mit den Bienen in Kassel.