


Die Waben - das Skelett des Biens?
In dieser Ausgabe setzen wir die Serie “Organe des Biens” fort. Wir wollen die Aufmerksamkeit auf den Wabenbau richten. Ist er nur toter Speicherraum oder das festeste, aber lebendige Organ des Biens?
Do 16. Dezember 2004 von Gastautor*in BieneMenschNatur.07, Bienenkunde
Die Substanz dieses Organs ist das Bienenwachs. Honig und Pollen werden von den Arbeiterinnen dafür ganz verdaut und über den Stoffwechsel verwandelt. Als wunderbares Wachs wird es mit den paarig angeordneten Wachsdrüsen an der Unterseite des Hinterleibes ausgeschwitzt. Bei ca. 40°C (ungefähr 5 Grad über Brutnesttemperatur!) bauen die Bienen in der Bautraube aus den winzigen (ca. 1mm²) durchsichtigen Wachsblättchen die Waben. Die Waben verändern sich dann ständig, am intensivsten durch das Brutgeschehen. Jede Bienenmade spinnt sich einen Kokon, der die Zelle auskleidet und beim Schlüpfen in dieser zurückbleibt. Auch das Putzen der Zellen, Kontakt mit Futtersaft, Honig und Pollen beeinflusst die Farbe des Wachses. Die anfangs schneeweiße Wabe geht über Hell- und Dunkelbraun bis fast zum Schwarz.
Ganz von innen heraus – aus den Entwicklungsimpulsen des Volkes – werden weitere Brutzellen für Erneuerung und Wachstum der Arbeiterinnenschar und der Drohnen gebaut. Ebenso wird der Wabenbau, dem Bedarf folgend, zur Reifung und Lagerung von Honig und Pollen durch neue Zellen erweitert. Der Zwischenraum, die Wabengasse, ist Aufenthalts-, Bewegungs- und Arbeitsraum für Königin, Arbeiterinnen und Drohnen. So bildet der Wabenbau das Gerüst, man kann auch sagen das Skelett für alle Lebensvorgänge. Ziehen wir einen Vergleich mit unserem Knochenskelett, so finden sich bei dieser Beobachtung faszinierende Parallelen: die Knochen sind die härtesten Teile unseres Körpers und gleichzeitig die Wiege zur Regeneration unseres Blutes. Im Inneren unserer Röhrenknochen werden die roten Blutkörperchen gebildet. Sogar die sechseckige Zellstruktur ist in unseren Knochen zu finden. Wie bei allen Drüsensekretionen der Bienen wird das Wachs aufgrund aktueller Entwicklungsimpulse des Volkes ausgeschieden. Allerdings hat es als Einziges dauernden Bestand.
Im Spätherbst und Winter ziehen sich die Bienen von einem Teil der Waben auf den Bereich der Wintertraube zurück. Die verlassenen Waben können bis auf Außentemperatur abkühlen. Das Wachs wird bei Frost so hart und spröde, dass es bei fester Berührung zerspringt wie Glas. In der Wärme des Brutnestes wird es wiederum geschmeidig. Es lässt sich von den Bienen verformen, z.B. zu den Deckeln der Brut- und Honigzellen. Die Dynamik dieses Wachsumtragens, d.h. die Wiederverwendung von Wachs an anderen Stellen im Bienenstock wurde erst erkannt, als in den Bienenvölkern der Verbleib rückstandsbildender Arzneimittel verfolgt wurde.
Wann baut der Bien “neue” Waben? Es sind drei verschiedene Situationen zu unterscheiden. Als erstes entsteht der Wabenbau im Schwarm, wenn er sich in einer neuen Behausung niederlässt. Aus dem Zentrum der “schwitzenden” Bienentraube heraus werden die ersten, dann drei, dann fünf und sieben usw. Waben aus schneeweißem, frischem Wachs gebaut. In dieses Zentrum legt die Königin die ersten Eier, die der Imker Stifte nennt: Sie beginnt Zukunft und Wachstum zu “stiften”.
Der zweite Typ des Wabenbauens ist das Wachstum des Volkes. Wenn im Frühjahr der bestehende Wabenbau voll belebt ist, kommt es zu einer Erweiterung an der Peripherie.
Als Drittes gibt es noch die “Renovierung” der Waben. Der Neubeginn des Brutgeschehens im Frühling oder nach dem Schwarmakt (im Restvolk) kann sogar auch zu einer Erneuerung der Waben führen. Es entstehen dabei keine weißen Jungfernwaben wie im Schwarm. Die Zellwände, bestehend aus dem Wachskern und vielen Schichten Nymphenhäutchen, werden abgetragen, das alte Wachs durchgearbeitet und dann hauchdünn wieder aufgebaut. Diese Arbeit läuft zeitlich und räumlich dem Legegang der Königin vorweg.
Für die letzte genannte Art der Erneuerung des Wabenbaues werde ich bei den meisten Imkern großes Kopfschütteln ernten. Es heißt doch, Wabenerneuerung machen nicht die Bienen, sondern der Imker! Aus hygienischen Gründen werden die Waben routinemäßig spätestens nach drei Jahren aus dem Bienenvolk entfernt. Diese Waben werden ausgeschmolzen, das Wachs gereinigt und zu Mittelwänden gegossen. Diese kommen als Ersatz für die entnommenen Altwaben in die Völker zurück und bilden die Grundlage für standardisierte, künstliche Waben. In der Mittelwand-Imkerei wird also ein Wachstumsprozess und Regenerationsprozess durch einen technisch geprägten Kreislauf ersetzt. Die Wabe wird zum beliebig austauschbaren Ersatzteil, das ewig recycelt wird. Damit keine Missverständnisse entstehen: In einer gut geführten Naturbau-Imkerei sind die Waben so jung, dass wir deren “Renovierung” (leider?) nur sehr selten erleben.
Beim konventionellen Umgang mit den Waben wird ihre Funktion bei der Orientierung und Kommunikation im Volk völlig missachtet. Die Bienen nehmen mit ihren feinen Geruchsorganen die Unterschiede verschiedener Wabenbereiche wahr und riechen sich so durch das Stockdunkel des Volkes. Bei den Bienentänzen leitet die Oberfläche der Wabe einen “Klang” als Schwingung weiter. Um schwingen zu können, dürfen diese Tanzböden am unteren Rand der Rähmchen aber nicht, wie vom Mittelwand-
Imker gewünscht, angebaut sein. Den beschriebenen Aspekten wird die wesensgemäße Bienenhaltung mit Naturwabenbau im großen Rähmchen gerecht. Vielleicht bewegen wir diese Bilder an einem langen Winterabend weiter, erhellt vom Licht einer Bienenwachskerze. Wird das harte Wachs durch Wärme wieder flüssig, kann es die Flamme nähren und uns Licht, Duft und Wärme des Sommers in die Winternacht bringen.
Autor: Michael Reiter ist Redaktionsmitglied von Biene-Mensch-Natur. Er lebt als Berufsimker von und mit seinen Bienen im Raum Kassel und betreibt eine Demeter-Imkerei.