


Die wahre Botschaft des Flow Hive
Seit einigen Wochen berichten Medien begeistert über das „Flow Hive“, mit dem man angeblich Honig ernten kann, indem man einfach einen Hahn am Bienenstock aufdreht. Was ist aus wesensgemäßer Perspektive dazu zu sagen?
Do 5. März 2015 von Gastautor*in Honig, Hypes&Hoffnungen, Naturwaben, Video, Wesensgemäße BienenhaltungSeit einigen Wochen geistert das „Flow Hive“ durch die sozialen Netze. Man sieht in einem Video, wie Honig aus einem Hahn am Bienenstock direkt auf das Frühstücksbrötchen läuft. Fast jeder Imker, der das zum ersten Mal sieht, hält das für einen verfrühten Aprilscherz. Nachdem aber schnell klar wurde, dass diese Idee ernst gemeint ist und sogar ein Patent angemeldet wurde, dreht sich die Diskussion darum, ob das wirklich funktionieren kann und ob es eine gute oder schlechte Idee ist. Selbst unter naturnahen Imkern gibt es Sympathisanten:
Wenn es wirklich funktioniert – was soll verkehrt daran sein, den Honig zu ernten, ganz ohne das Bienenvolk zu stören? Wäre das nicht eine maximal extensive Art zu imkern?
Das Flow Hive bietet eine Lösung für ein Problem, das ein Imker gar nicht hat. Die Honigernte gehört zu den einfachsten Sachen bei der Bienenhaltung. Das ist eine befriedigende, sinnliche Arbeit, die man gut mit der ganzen Familie einschließlich der Kinder machen kann. Die eigentliche Herausforderung bei der Bienenhaltung liegt darin, das Bienenvolk über das Jahr hinweg gut zu betreuen. Es kann außerdem erst dann etwas aus dem Flow-Hahn laufen, wenn die Bienen Überschüsse gesammelt haben. In vielen Regionen ist das aufgrund der von Landwirtschaft geprägten, verarmten Landschaft keinesfalls mehr selbstverständlich. Das Flow Hive erweckt nun den Eindruck, man könne quasi bienenfrei und ohne jedes Fachwissen imkern: einfach einen Bienenkasten in den Garten stellen, etwas warten und dann den Hahn aufdrehen… Hier wird der Modetrend des „urban beekeeping“ auf die Spitze getrieben. Aber gerade die konventionelle Magazin-Bienenhaltung, für die das Flow-System konstruiert worden ist, stellt hohe Anforderungen an die imkerliche Betreuung.
Es gäbe außerdem viel über das lebensfeindliche, mechanistische Weltbild zu sagen, das hinter dem Flow Hive steht. Das überlasse ich meinen Kollegen weiter unten in diesem Artikel.
Erhard Maria Klein, Mellifera e. V.
Auch unsere Freunde vom Natural Beekeeping Trust hat das Thema beschäftigt, und wir veröffentlichen hier die leicht bearbeitete Übersetzung des Blogbeitrags:
The Deeper Message of the Flow Hive
Organischer Naturwabenbau in einem Bienenvolk (Foto: Natural Beekeeping Trust)
Unsere Einstellung zu den Honigbienen ist letztlich entscheidend für das Fortbestehen des Lebens auf der Erde. Ausrüstung, Beuten oder Haltungsmethoden spielen dabei eine untergeordnete Rolle.
In den letzten Tagen wurde in den Medien weltweit über eine neue Erfindung berichtet, die ein verlockendes Versprechen macht: Honiggewinnung soll so einfach werden, dass sie – mit den Worten der Presseerklärung – in einem „ferngesteuerten automatischen Prozess“ abläuft. Diese neue Methode erweckt den Eindruck, dass sie gut für die Bienen sei, weil sie dem Imker hilft, den Honig auf eine sehr „bienenfreundliche Art“ zu ernten. Wollen wir das nicht eigentlich alle: bienenfreundlich imkern und möglichst wenig Störungen im Bienenvolk verursachen?
Lassen Sie uns kurz innehalten: Muss die Honigernte wirklich störend für die Bienen sein? Verantwortungsbewusste Imker wissen schon lange, wie sie auf rücksichtsvolle Weise Honig ernten können, indem sie den Bienen ihren Honig für die Überwinterung lassen und nur die echten Überschüsse herausnehmen. Die Honigernte muss nicht automatisch ein massiver störender Eingriff sein – weder für die Bienen noch für den Imker. Natürlich reden wir hier nicht über die großen konventionellen Berufsimkereien, deren Erntemethoden teilweise brutal sind. Aber für Berufsimker wird das Flow Hive sowieso nicht besonders attraktiv sein, da es viel zu teuer und kompliziert ist. Mit anderen Worten: Das Verkaufsargument „bienenfreundlich“ richtet sich an die „Möchtegern“-Imker, die davon träumen, ohne jeden Aufwand Honig ernten zu können.
Soweit zu den Imkern, aber was ist mit den Bienen?
Die Denkweise, die hinter dem Flow Hive steht, ignoriert vollkommen die Perspektive der Bienen. Das Grundprinzip des Geräts besteht darin, dass mitten im Bienenstock Plastikwaben über Plastiknockenwellen aufgebrochen werden, damit der Honig dann herauslaufen kann. Es drängt sich die Frage auf: bilden Bienen natürlicherweise Waben aus Plastik und was bedeutet es für den Gesamtorganismus, wenn solche künstlichen Stoffe in den Körper des „Bien“ eingebaut werden?
Die Plastikwaben des Flow Hive Systems (Foto: www.indiegogo.com)
Genauso wie alle Bienen gemeinsam Teil des Gesamtorganismus „Bien“ sind, so gehören auch die Waben mit all ihren Funktionen dazu. Oder, um es anders auszudrücken: Der Wabenkörper ist ein integraler und wesentlicher Bestandteil des Bienenvolkes. Wenn man Plastikwaben in das Herz des Bien einsetzt, ist es als würde man einem Menschen ein künstliches Herz oder eine künstliche Leber implantieren. Das würde man nur bei einer existenziellen medizinischen Notlage tun, und ganz bestimmt nicht, nur um es vielleicht ein wenig bequemer zu haben. Aber so funktioniert das Flow Hive: etwas dem Bien vollkommen Fremdes wird direkt in sein Herz verpflanzt. Warum?
Wir haben hier ein paar Stellungnahmen aus aller Welt zum Thema „Flow Hive“ zusammengestellt:
Eine heilige Berufung
Konzeptionell ist die Idee problematisch, ein Bienenvolk wie ein Fass Bier behandeln zu wollen, das man nach Belieben anzapfen kann. Ein Bienenvolk ist ein Lebewesen und keine Maschine, die nur für unseren Nutzen da ist. Ich bin ein naturgemäßer Imker und glaube, dass die Honigernte mit Umsicht und Respekt erfolgen sollte. Für uns ist die Bienenhaltung – auch wenn es vielleicht etwas melodramatisch klingt – eine heilige Berufung. Wir leben in einer engen Beziehung zu unseren Bienenvölkern und spüren, dass es unsere Aufgabe ist, den Bienen zu helfen und sie zu unterstützen. Hin und wieder nehmen wir den Honig, den die Bienen für uns übrig haben, als ein Geschenk an. Für Imker-Anfänger und für Leute, die gar keine Imker sind, dreht sich zunächst alles um den Honigertrag. Aber für uns hat der Honig einen anderen Stellenwert. Was wir von den Bienen geschenkt bekommen, sehen wir als sehr wertvolle Gabe an und benutzen es eher zu medizinischen Zwecken als nur zum Süßen.
Erik Knutzen, USA
Unsere ganze Wahrnehmung von Lebewesen wird verändert
Mit dem sogenannten Flow Hive wird eine neue Stufe beim Ersatz von Natur- durch Kunstwaben erreicht. Eine künstliche Prothese ersetzt das ursprüngliche Wabenmaterial und damit die Strukturen, die wie ein Organ funktionieren. Und dann soll dieses unglaubliche Implantat sogar blind bedient werden können, ohne überhaupt noch eine Beziehung zu den Bienen entwickeln zu müssen: Unsere ganze Wahrnehmung von Lebewesen wird durch diese Prothesen-Schnittstelle verändert. … Letztendlich können wir das als Anregung verstehen, noch genauer hinzuschauen und uns für eine Perspektive zu öffnen, die von der Verbundenheit allen Seins ausgeht. Wir haben die Fähigkeit uns weiterzuentwickeln … und wir haben keine andere Wahl, als aufzuwachen und auf eine neue Weise auf unserem Planeten zu leben – weil wir überleben möchten.
Michael Joshin Thiele, Gaiabees
Den Bienen ins Handwerk gepfuscht
Wir haben den Bienen lange genug ins Handwerk gepfuscht und es ist Zeit damit aufzuhören. Das neue „Flow Hive“ ist einfach schrecklich. Es bringt das „den-Bienen-ins-Handwerk-Pfuschen“ auf eine neue Stufe und zeugt von einer massiven Entfremdung der Erfinder von den Bienen! Bienen sind höchst intelligent und haben eine unglaubliche Wahrnehmung von der Welt um sie herum. Lasst uns ihre Sprache lernen, ohne sie zu belästigen.
Jenny Cullinan, Süd Afrika
Mit jeder neuen imkerlichen Erfindung hat die Bienengesundheit abgenommen
Waben sind viel mehr als nur eine Tupperdose für ein Mittagessen; sie sind das Skelett und der Rahmen des Bienenvolks und erfüllen dort viele Funktionen. Die Zellenwand ist nur 0,07 mm dick und das Wachs besteht aus über 300 verschiedenen chemischen Verbindungen. Es zieht Gifte aus dem Honig. Die Resonanzfrequenz (230-270 Hz) der Waben entspricht den Schwingungssensoren der Bienen und fungiert deshalb als ein Kommunikationskanal zwischen Bienen, die an unterschiedlichen Enden der Waben sitzen. Die Bienen kontrollieren sogar die Temperatur der Zellränder, damit diese Art der Informationsübermittlung optimal läuft. Das Wachs speichert zudem Informationen über Pheromone, die die Bienen absondern. Geruch und Eigenschaften der Wabe helfen dem Bienenvolk sich zu organisieren. Das Wachs unterstützt den Reifungsprozess des Honigs und bildet den ersten Schutzschirm gegen Pathogene. Honigbienen sind daher aus gutem Grund dazu in der Lage, selbst kleinste Veränderungen in der Zusammensetzung des Wachses wahrzunehmen. Wachs ist kein Polypropylen-Kunststoff. … Im Verlauf der letzten 100 Jahre hat die Bienengesundheit mit jeder neuen imkerlichen Erfindung abgenommen. Das liegt vor allem daran, dass die meisten Erfindungen darauf ausgerichtet sind, den Honigertrag zu optimieren und/oder die natürlichen Verhaltensweisen der Bienen zu unterdrücken. Das Flow Hive macht da keinen Unterschied. Honig ist für die Bienen sowohl Segen als auch Fluch.
Jonathan Powell, England
Es ist das Geburtsrecht der Bienen, Waben selbst bauen zu dürfen
Bienen möchten ihre eigenen Wachswaben bauen. Diese sind Teil des Superorganismus „Bien“. Das Wachs erzeugen sie buchstäblich aus ihren eigenen Körpern heraus. Die Waben sind die Wohnung der Bienen, ihr Kommunikationssystem (das nicht annähernd so gut funktioniert, wenn es aus Plastik statt aus Wachs gemacht ist, wie Studien beweisen), und funktionieren als ein zentrales Organ. Die Waben sind die Gebärmutter der Bienen, sie sind der Ort, wo sie ihren Nachwuchs aufziehen. Und wenn sie eine Wahl hätten, würden die Bienen keine vorgefertigte Plastik-Gebärmutter, kein Plastik-Haus oder Plastik-Speisekammer haben wollen – genauso wenig wie wir. Es ist das Geburtsrecht der Bienen, ihre Waben selbst bauen zu dürfen. Aber das ist noch nicht alles. Das andere Problem, das wir mit dieser neuen Apparatur haben, ist, dass sie zu einer Art der Bienenhaltung führt, die nur auf den Imker ausgerichtet ist und den Eindruck erweckt, dass die Pflege der Bienen ganz einfach sei. Es geht hierbei übrigens nicht nur um das Flow Hive. Worüber wir hier eigentlich sprechen, ist der weitgehend industrialisierte und profitorientierte Ansatz der Bienenhaltung (beispielsweise im Langstroth-Magazin), wo Produktivität über Ethik und die langfristige Bienengesundheit gestellt wird.
Kirsten Bradley, Australien
Den Bienen auf Augenhöhe begegnen
Ich unterrichte Bienenhaltung ohne Schleier oder Handschuhe. Wenn du dich einem Bienenvolk ohne den Schutz deines Imkeranzugs näherst, bist du gezwungen dich zu fragen, wie es den Bienen heute geht, und du musst dich für jede subtile Botschaft interessieren, die sie dir über ihr Verhalten mitteilen. Wenn es mein Ziel wäre, Geld zu machen oder Zeit zu sparen, wäre das recht umständlich und unbequem. Aber mein Ziel ist es, mit den Bienen zu arbeiten und dafür zu sorgen, dass es ihnen gut geht. Wenn es einen Honig-Überschuss gibt, den ich ernten kann, ohne gestochen zu werden – obwohl ich total ungeschützt bin – fühlt sich alles Folgende ganz anders an. Die Bienen und ich haben sozusagen auf Augenhöhe partnerschaftlich zusammengearbeitet, beide verwundbar, beide profitieren von der Beziehung.
Jack Mills, USA
In diesen Kommentaren und Überlegungen zu den Auswirkungen des Flow Hives auf die Bienen sehen wir ein echtes Verständnis der Ganzheit des „Biens“ und der unfassbaren Einheit der Natur. Ist das sich hier andeutende kollektive und tiefere Verständnis vielleicht eine spontane Folge des kürzlichen Medien-Rummels? Wenn dies der Fall ist, wäre das ein Grund zur Hoffnung.
Quelle: The Deeper Message of the Flow Hive
Übersetzung und Bearbeitung: Michael Slaby, Aurelia Stiftung (i.G.) und Erhard Maria Klein, Mellifera e. V.