Geschenke der wesensgemäßen Bienenhaltung
Mellifera-Vorstand Johannes Wirz ist der Ansicht: Die Bienen geben dem Imkernden weit mehr zurück als nur Honig & Wachs. Welche spirituellen Geschenke wir von den Immen erhalten können:
Do 28. November 2024 von Johannes Wirz BieneMenschNatur.47, Wesensgemäße BienenhaltungDie Demeter Richtlinien bilden den messbaren Aspekt des Miteinanders von Mensch und Biene ab. Die Vermehrung im Schwarmtrieb ist die natürliche Form der Reproduktion von Völkern und ein geniales Verhalten, Brutkrankheiten zu reduzieren. Naturbau erlaubt dem Volk, seinen eigenen Wabenkörper nach seinen Bedürfnissen zu errichten und bringt eine geringere Belastung an Pestiziden, Herbiziden und Fungiziden mit sich als eine Imkerei mit geschlossenem Wachskreislauf.
Schließlich ist in vielen Studien gezeigt worden, dass Standbegattung – im Gegensatz zu der künstlichen Königinnenzüchtung – gesündere Völker hervorbringt. Der Grund ist die Standortanpassung! Diese Vorteile der Demeter Bienenhaltung können mit anerkannten wissenschaftlichen Methoden nachgewiesen werden. Es ist deshalb außer Frage, dass wir bei Mellifera e.V. eine Demeter Imkerei betreiben.
Neben diesem Aspekt gibt es darüber hinaus weitere Qualitäten – Beziehung und Verbundenheit, die wir leben und entwickeln wollen. Sie sind, obwohl erfahren und erlebt, mit quantitativen Methoden kaum oder nur zum Teil nachweisbar. Mir gefallen die Worte von Carl Sagan, Professor an der Uni Cornell, der einmal gesagt hat: „Absence of evidence is not evidence of absence.“ (dt.: Das Fehlen von Evidenz, ist kein Beweis, dass etwas nicht existiert).
Werden wir selbst zum „Messapparat“, sind neue Beziehungsqualitäten so belastbar wie Daten auf der Basis von wissenschaftlichen Methoden auch. Dafür müssen wir lediglich bereit sein, uns selbst mit Leib, Seele und Geist zum Instrument werden zu lassen.
Verbunden sein
Es ist ein großes Glück, dass ich jedes Jahr vielen Gruppen meine Bienenvölker zeigen darf – Erwachsenen, Schülern und Kindern. Wir beginnen mit einem Blick auf das Flugloch, spüren die Wärme auf dem Wachstuch und tasten ab, wo das Brutnest sitzt. Beim Öffnen der Beute verzaubert uns Duft, der aus der Einraumbeute steigt, und schließlich ziehen wir die Waben. Der Blick auf das emsige Treiben, die Honigvorräte, der Pollenkranz und die verdeckelte und offene Brut erregt Staunen, Freude und Ehrfurcht. Alle, die wollen, dürfen die Bienen streicheln, und ausnahmslos alle machen es zärtlich und sanft. Schönheit, Harmonie und die Weisheit im gegenseitigen Zusammenleben und -arbeiten sind nicht Theorie, sondern Erlebnis an den Bienen. Eine Zweitklässlerin schrieb mir nach dem Besuch, dass der Bienenbesuch der schönste Tag im ganzen Schuljahr gewesen sei. Es ist klar, dass nur die wenigsten der erwachsenen und jungen Besucher*innen imkern werden. Doch die kurze Liebesbeziehung mit den Bienen wird sie im weiteren Leben begleiten.
Viele sind nach einer ähnlichen Erstbegegnung Bienenhirten geworden. Und einigen ist es gelungen, dieses Staunen und diese Magie zu bewahren. Das Bienenvolk spricht!
Ich bin überzeugt, dass die wiederholte Aktualisierung der genannten Gefühle ein zentraler Schritt ist auf dem Weg zur wesensgemäßen Bienenhaltung.
Leben im Flow
Nach jedem Bienenbesuch fühle ich mich beschenkt und danke für die Energie oder neudeutsch den «Flow», in den mich die Bienen gebracht haben. Mit der Zeit ist es mir gelungen, diese Lebensenergie auch in den Völkern wahrzunehmen und zu schätzen. Die Organisation des Brutnestes, das Verhältnis von offener und verdeckelter Brut, das sich im Jahreslauf dynamisch verändert, sind Zeichen der Vitalität des Volkes. Oft sind es kleinere Völker, die mir am vitalsten erscheinen, und die ich nie vereinigen könnte mit einem anderen. Allmählich habe ich gelernt, das Verhalten der Bienenvölker im Jahreslauf wie ein Bild vor mir zu haben.
Oft habe ich auch erlebt und gelitten, wie dieses Zeitenbild sich verdunkelt, wenn ein Volk sozusagen von heute auf morgen zu kränkeln beginnt und verendet. Ich erachte solche Ereignisse als Zeichen, dass ich nicht wach genug bei den Bienen war; aber auch, dass Werden und Vergehen – wie bei uns Menschen – Ausdruck und Zeichen des Lebendigen sind. Die Wahrnehmung im Lebendigen in der Erfahrung, nicht als abstrakter Gedanke, habe ich von den Bienen gelernt. Achtsamkeit in der Begegnung und im imkerlichen Handeln wurden allmählich Eigenschaften, die ich auch im Privat- und Berufsalltag bewusster ausübe.
Das ist für mich eine weitere Qualität der wesensgemäßen Bienenhaltung.
Mittendrin
Die letzte Etappe auf dem Weg zu meiner wesensgemäßen Bienenhaltung habe ich erst begonnen, und ich weiß, dass ich sie nur in Gemeinschaft mit Freunden meistern kann. Ausgehend von der seelischen Berührung wendet sich der Blick von der lebendigen Dynamik zur Ewigkeit. In meiner und in unserer Arbeit gibt es Augenblicke, wo wir eine Art Ich-Du Beziehung erfahren. Der Ausdruck „Wesensbegegnung“ wird von vielen verspottet, trifft jedoch, was ich meine. Ich erlebe an mir selber eine Art von Zeitlosigkeit. Ich bin die Individualität, die als Junge, junger Erwachsener, Wissenschaftler, Vater, Partner und bald einmal als Greis unverbrüchlich durch alle äußeren Erscheinungen, Meinungsumschwünge, erlittene und zugefügte Verletzungen und Herabsetzungen usw. da ist.
Dieses Gefühl taucht auch bei den Bienen auf. Nicht zuletzt deshalb bleibt der Name, wie z. B. Sun Prayer, den eine liebe Freundin einem Jungvolk gegeben hat, das wir als Schwarm gemeinsam einlogiert haben, mit allen Völkern, die die Beute besiedeln, verbunden.
Ich kann hier nicht ausführen, weshalb ich auf dieser Ebene die Bienen, besser den Bien, als Lehrmeister begrüßen lerne. Er lehrt mich Vertrauen, Geschwisterlichkeit, Wertschätzung und Liebe.
Ich gestehe, dass wir hier scheinbar weit von den Bienen weg sind, doch haben sie die Reise angeleitet. Wiederum erfahre ich, dass diese Eigenschaften sich nicht auf Bienen oder die Natur beschränken, sie werden Teil von mir, von uns – im Erkennen, im Fühlen im Tun. Bienen lehren mich die totale Verbundenheit, die intimste Beziehung mit allen anderen Wesen auf dieser Welt. Das ist wohl der Grund, weshalb sie sich zu uns gesellt haben. Keine Bange: Auf dem inneren Weg mit Bienen freue ich mich immer, dass sie mir Wachs und gelegentlich sogar viel Honig schenken.