„Das Wichtigste in der Frage wesensgemäß ist mir der Mensch“
Michael Weiler ist erfahrener Bienenhalter, Bienenberater und Bienenerzähler. Im Gespräch erzählt er, was für ihn der Kern der wesensgemäßen Bienenhaltung ist, und welche Passage von Rudolf Steiners Arbeitervorträgen ihn besonders geprägt hat.
Mi 1. November 2023 von Lydia Wania-Dreher BieneMenschNatur.45, InterviewMichael Weiler ist Agraringenieur und Vater von fünf Kindern. Er hat die Richtlinien für Demeter Bienenhaltung mitentwickelt und berät seit vielen Jahren Imker*innen bei der Umstellung auf wesensgemäße Bienenhaltung. Der 67-Jährige betreibt die Internetseite www.der-bienenfreund.de und ist Autor des Buches Der Mensch und die Bienen.
Michael Weiler organisiert gemeinsam mit Dr. Johannes Wirz die Tagung Jubiläum: 100 Jahre Arbeitervorträge v. Rudolf Steiner ‘Über das Wesen der Bienen’ , die vom 10. bis 12. November 2023 in Kassel stattfindet.
Wie bist Du zu den Bienen gekommen?
Michael Weiler: Im Jahr 1981 zog ich mit meiner Familie, damals waren es noch zwei Kinder, für mein Landwirtschaftsstudium nach Witzenhausen. Dort bekam ich eine Plantage mit 100 Kirschbäumen angeboten. Ohne Pacht; die Bedingung war, sie zu pflegen. Und Obstbäume tragen ja bekanntlich gut, wenn Bienen da sind. Daher übernahm ich im Frühjahr 1982 drei Völker, die ich ganz normal hielt. Im ersten Sommer hatte ich eine super Ernte und etliche Stiche. Ich las 1,5 Meter Bienenbücher aus der Uni-Bibliothek und hatte den Kopf voller Bienen. Dabei habe ich auch gelernt, dass der Weg vom Kopf in die Hände weiter ist als umgekehrt.
Und wie und wie viele Bienen hältst Du heute?
Das hat sich bei mir aus ganz vielen Begegnungen ergeben. Nach vielen Jahren gemeinsamer Imkerei mit Uli Nett in Kassel mit bis zu 70 Völkern in verschiedenen Beutensystemen — ab 1996 Demeter zertifiziert — halte ich seit 2003 nebenberuflich als Demeter-Imker etwa zehn Völker. Mehr will ich nicht machen neben den Dingen, die ich sonst noch tue.
Seit der Umstellung auf Demeter arbeite ich ausschließlich mit Naturwabenbau und ohne Mittelwände. Aus Begegnungen mit Robert Friedrich hat sich das System ergeben, mit dem ich heute nur noch arbeite: ein Magazinsystem mit großen Brutraumrahmen, also Deutsch Normal 1,7. Das ergibt eine schöne Ausbildungsfläche für die Brutsphäre.
Wie ist Deine Beziehung zu den Bienen?
Ich glaube das ist auf einer Seite eine sehr pragmatisch-funktionale Beziehung. Ich habe das von den Bienen so gelernt. Es gab Zeiten, in denen ich dachte, ich muss vor der Arbeit vor dem Bienenstand sitzen und meditieren. Immer, wenn ich das machte, kamen die Bienen an. Ich bekam das Gefühl, die wollen das nicht. Die wollen, dass ich komme und mache, was ich denke, was ich tun muss. Seitdem mache ich das auch so. Bienenhaltung ist eine Kulturleistung, wie wenn man mit der Hacke vor einem Beet steht. Da muss ich auch nicht meditieren, sondern machen. Das Nachsinnen kommt später!
Die andere Seite ist die, dass für Vorträge, Kurse, Seminare usw. die wichtigsten Ernten die Beobachtungsinhalte sind. Daher bleibe ich manchmal auch lange an einem Volk dran und verinnerliche mir die Bilder, dass ich sie dann wieder erzählen kann.
Nochmal zurück zum Stichwort Kulturleistung.
Ja, das ist für mich ein wesentlicher Punkt. Entweder ihr wollt was von den Bienen, dann müsst ihr auch was tun oder nicht, dann könnt ihr es auch bleiben lassen. Wenn man sich entscheidet, etwas zu tun, dann mach es so gut wie du es kannst. Dafür muss man sich auch sachlich und fachlich bilden. Daher empfehle ich Anfänger*innen immer, sich einem lokalen Imkerverein anzuschließen und da alles mitzumachen, was an Möglichkeiten der Wahrnehmung angeboten wird. Man braucht mindestens drei bis fünf Jahre bis man Routine hat, um zu variieren. Und, die Bienen wissen, dass wir als einzige Wesen auf der Welt durch Versuch und Irrtum lernen – und sie tragen das mit.
Du hast Dich für eine wesensgemäße Bienenhaltung entschieden. Was ist Dir dabei wichtig?
Das Wichtigste in der Frage “wesensgemäß“ ist mir der Mensch, weil, um den geht es. Und um die Frage, wie komme ich als Mensch zu meiner Selbstempfindung und Gewissheit, dass ich ja auch ein Wesen bin. Das wird heute viel in Frage gestellt – alles ist nur funktional und ein physiologischer Prozess. Wenn ich mich als Wesen sehe, kommt die Frage nach dem Gegenüber: Bist du auch ein Wesen? Das Feld erweitert sich auf alles, was mir auf der Welt begegnet.
Das sind die Dinge, die mich beschäftigen und speziell auch an den Bienen. Wesensgemäße Bienenhaltung beginnt bei mir mit Fragen und nicht mit Systemen. Die Methoden, mit denen ich mit den Bienen umgehe, die entwickeln sich dann anhand der Fragen, die ich habe. Sie können zu Variationen führen. Zum Beispiel, was ich den Bienen entgegenbringe; was ich den Bienen ermögliche; was ich ihnen an Freiraum einräume.
Für mich macht es Sinn, einen einteiligen Brutraum mit einer großen Brutraumwabe zu haben, weil man das aus den Lebensäußerungen der Bienen so ableiten kann. Es ist die Beschäftigung mit den Fragen: Wie lebt sich dieses Wesen in die Welt hinein? Wie verbindet sich dieses Wesen mit der Welt in seiner speziellen Weise? Wie wirkt es hier und was bewirkt es? Und wenn ich mit den Bienen umgehen will, kann ich schauen, wenn ich die Phänomene studiert habe, wie ist das in der Kulturbeziehung anwendbar und unterstützend.
Rudolf Steiner hat vor genau 100 Jahren – im November und Dezember 1923 – in seinen Arbeitervorträgen genau über dieses Wesen der Bienen gesprochen. Gibt es eine Passage daraus, die Dich besonders geprägt hat?
Der ganze Zyklus hat etwas wo man staunend, ergriffen oder auch perplex sein kann. Das muss man zulassen können. Im letzten Vortrag in den letzten Absätzen geht Steiner auf den Schwarm und auf den sterbenden Menschen sowie auf das Bienengift und die Ameisensäure ein. Er beschreibt, wie das Bild des Schwarms ein ähnliches Bild gibt, wie die Seele des sterbenden Menschen, wenn sie den Körper verlässt. Steiner schließt mit einem Satz, der für mich wie ein Auftrag klingt: „Und dann werden sie wieder der richtige Bienenstock, wenn wir ihnen helfen, wenn wir sie wieder zurückbringen in den neuen Bienenstock.“ Sinnbildlich, wir fangen den Schwarm ein und geben ihm eine neue Hülle, eine Möglichkeit der Behausung. Und damit beginnt ja dann auch wieder die Kulturleistung.
Hast Du einen Tipp für Neulinge, wenn sie sich mit Steiners Vorträgen befassen möchten?
Als ich die Vorträge vor rund 40 Jahren in die Finger bekam, da ging es mir auch so, dass ich einer Sprache begegnete, die heute ungewohnt ist. Das muss man aushalten können. Man muss auch durchaus zulassen, dass manche Dinge und Bilder wie sie da geschildert werden einen Widerstand in einem auslösen, weil sie das sprengen, was man selbst als Vorstellungsraum hat. Da gibt es etwas wie Kollision. Und je elastischer ich mit den Grenzen meines Vorstellungsraums umgehen kann, desto eher kann ich dann auch mit solchen Kollisionen elastisch umgehen, weil sie nicht etwas zerbrechen, sondern weil sie etwas bewegen.
Das Interview führte Lydia Wania-Dreher, Leiterin Öffentlichkeitsarbeit Mellifera e. V.