Biene, Mensch, Natur: Einklang oder Konkurrenz?
Es gibt aktuell Forderungen aus Naturschutzverbänden, aufgrund einer möglichen Konkurrenzsituation zwischen Honigbienen und anderen Blüten besuchenden Insekten Honigbienenverbotszonen einzurichten. Wie sieht eine wesensgemäße Position aus?
Di 10. September 2024 von Katrin Sonnleitner, Erhard Maria Klein Hypes&Hoffnungen, Kritik, Wesensgemäße BienenhaltungEs gibt aktuell Forderungen aus Naturschutzverbänden, aufgrund einer möglichen Konkurrenzsituation zwischen Honigbienen und anderen bestäubenden Insekten Honigbienenverbotszonen einzurichten. Das Aufstellen von Bienenvölkern in Naturschutzgebieten und einer sie umgebenden Pufferzone solle vollständig verboten oder zumindest stark reguliert werden. Darüber ist eine Diskussion zwischen Vertreter*innen des Naturschutzes und der Imkerverbände entbrannt. Beide Seiten haben plausible Argumente, wobei die jeweiligen Argumentationslinien einseitig von den jeweils eigenen Interessen bestimmt sind.
In dieser Diskussion fällt einmal wieder auf, dass Mensch und Natur als getrennte Sphären betrachtet werden. Das schlichte Narrativ dabei: Lebensmittelproduzenten drängen die Natur zurück, um Raum für eine stark industriell geprägte Landwirtschaft zu gewinnen. Naturschützer sehen sich gezwungen, dagegenzuhalten und die Natur vor dem Menschen zu schützen.
Dabei wird ignoriert, dass der Mensch als Teil der Natur existenziell mit ihr verwoben ist. Wir Menschen sind abhängig von einer vielfältigen Natur. Wie jede andere Spezies steht es uns nicht nur zu, ja wir müssen in ihr und von ihr leben. Mit welchen Werten wir dieses Leben jedoch gestalten wollen, und wie wir Natur als unsere Lebensgrundlage kultivieren, darüber sollten wir nachdenken.
Zunächst einmal sehen wir (beide Autoren halten Bienen möglichst wesensgemäß) keinen ontologischen Gegensatz zwischen Mensch und Natur, sondern streben an, in Harmonie in unserer Umwelt und mit unseren Mitgeschöpfen zu leben. Auch wenn Naturschutzgebiete und Zonen unberührter Wildnis zweifellos wichtig sind, liegt die Antwort auf die Überschreitung der planetaren Grenzen, wozu auch die schwindende Biodiversität und damit der Verlust an Insekten gehört, eher in unseren bestehenden Kulturräumen, die letztlich auch Teil der Natur sind. Die Illusion, in künstlichen Welten leben und wirtschaften zu können, fällt uns jetzt auf die Füße. Das kann nicht nur beim Verlust an Biodiversität erlebt werden, sondern auch bei den immer größeren Schäden durch Hitze, Trockenheit oder Überschwemmungen, der Ausbreitung von Forstschädlingen oder der jüngsten Pandemie – alles Folgen destabilisierter Ökosysteme.
Beide Seiten, Naturschützer und Imkerverbände, räumen ein: Was den Wildbienen letztlich fehlt, ist eine blühende Landschaft. Es gibt eigentlich nicht zu viele Honigbienen, sondern zu wenig artenreiche Blühflächen, zu viele versiegelte Böden und damit zu wenige Nistplätze, zu viele Pestizide,… Aber keine Seite zieht daraus den naheliegenden Schluss, eine radikale Transformation der Landwirtschaft hin zu ökologischen Kleinbetrieben zu fordern, was auch ein Umdenken (und -handeln!) bei unserem Ernährungs- und Konsumverhalten einschließt. Statt sich gegenseitig Vorwürfe zu machen und um die schwindenden Naturflächen zu konkurrieren, sollten sich Naturschützer und Imker verbünden, um eine öffentliche Diskussion dieses Themas anzustoßen und eine ökologische Transformation der Landwirtschaft bei der Politik einzufordern und durchzusetzen. Siehe dazu auch unser Artikel „Klasse statt Masse – auch bei Bienenvölkern“ (23.02.2022).
Wesensgemäße Bienenhaltung – ein Teil der Lösung
Der Großteil der Menschen, die sich mit Bienen beschäftigen, imkert aus Liebe zur Natur, genießt das meditative Eintauchen in die Welt des Bienenstocks und fühlt sich über seine Bienen und den dankbar angenommenen Honig im Flugradius seiner Bienen verwurzelt. Diese Werte gilt es, in der eigenen Bienenhaltung zu entfalten. Wesensgemäße Bienenhaltung ist in ihrem innersten Kern davon getragen, die Verbindung zur Natur zu kultivieren, sich nicht verbissen abgrenzen zu wollen, sondern die eigene Abhängigkeit oder Eingebundenheit als Möglichkeit einer tiefen Beziehung wahrzunehmen und diese positiv zu gestalten.
In der Natur – alles voll Gekrabbel und Gestrüpp (?) (Deichkind)Beziehung setzt ein Miteinander voraus und den Respekt der Bedürfnisse unserer Gegenüber. In Bezug auf die Honigbienen äußert sich diese Haltung zum Beispiel darin, sie ihre Waben selbständig bauen zu lassen, ihre natürliche Vermehrung über den Schwarm zu feiern und auf ihren gesamten Organismus in Landschaft und Jahreslauf einzugehen. Wir sind überzeugt davon, dass die wesensgemäße Bienenhaltung eine wichtige integrierende und inspirierende Rolle im Blick auf aktuelle und bevorstehende ökologische und gesellschaftliche Herausforderungen spielen kann.
Durch seine zehntausende Jahre währende gemeinsame Kulturgeschichte mit dem Menschen kann uns der Bien als Schlüsselwesen für die Wahrnehmung unserer Mitwelt und unserer anstehenden Herausforderungen dienen. Ein Beispiel: Der Bien dehnt sich kilometerweit in die Landschaft aus. Die Immen (Arbeitsbienen) befliegen dabei Flächen, die ihnen nicht gehören. Sie stiften durch ihre Tätigkeit Nutzen, ohne etwas weg zu nehmen oder zu zerstören und teilen alles miteinander. Dadurch sind Honigbienen ideale Botschafter für eine Commons-Ökonomie, die auf Allgemeingütern basiert. Solidarische Landwirtschaft – die vielfach auch eine Bienenhaltung umfasst – ist ein erster kleiner Schritt in diese Richtung.
Eine dritte Position: Von den Bienen lernen, sich ums Ganze zu kümmern.
Was ist uns die Honigbiene, was ist uns der Bien? Wesensgemäße Bienenhaltung nimmt abseits der Diskussion zwischen den Polen Nutztierhaltung und Naturschutz eine eigene Position ein: Sie richtet den Blick auch auf die Vielfalt an „Imkerwesen“, die individuellen Persönlichkeiten hinter den Bienenkästen, die sich so vielfältig engagieren in ihren Wirkungskreisen. Begleitet von ihren Bienen suchen sie den Kontakt zu anderen Wesen, die um sie herum in Verbundenheit leben – ihre Mitmenschen eingeschlossen. Die wesensgemäße Beschäftigung mit dem Bien kann Menschen helfen, einen ganzheitlichen, lebensfreundlichen Blick auch für andere Lebensbereiche zu entwickeln. Der Bien kann uns Lehrmeister sein, Verbündeter und emotionaler Anker.
Während wir diesen Artikel schreiben, erhalten wir die August-Ausgabe des Rotary Magazins, welche ganz der Honigbiene gewidmet ist. Leitgedanke der gemeinnützigen Vereinigung Rotary International: Selbstlos dienen.
Erlebt der Mensch seine Verbundenheit mit allen Wesen, so entspringt daraus die Nötigung zu einem ins Uferlose gehenden Dienen. (Albert Schweitzer)
Mit Albert Schweitzer erleben wir uns als Leben, inmitten von Leben, das leben will. Wir sehen Honigbienen als „wilde Haustiere“, die eine wichtige Rolle für die Entwicklung der Menschheit und der Kultur-Natur-Räume gespielt hat und auch in Zukunft spielen soll. Wir suchen „das rechte Maß“. Wir denken systemisch und streben ein harmonisches Wirken von Biene und Mensch als Teil des Ökosystems an. In einer kleinbäuerlichen Landwirtschaft und blühenden, unversiegelten Landschaft gibt es keine Nahrungskonkurrenz. Daran arbeiten wir und dafür setzen wir uns ein.
Mehr erfahren: Wesensgemäße Bienenhaltung – was ist das?
Links:
- Deutscher Berufs- und Erwerbsimkerbund e. V. (DBIB): Wildbienen und Honigbienen – Keine künstliche Konkurrenz (18.7.2024)
- top agrar: Umweltschützer fordern Honigbienenverbotszonen in Naturschutzgebieten (18.7.2024)
- Leserbrief in top agrar: Experte hält Honigbienenverbotszonen für gerechtfertigt (22.7.2024)
- Rotary Magazin, Heft 8/2024 – Bienen: Kompetent als Kollektiv