Eine kleine Biene ganz groß: Rezension vom "Tagebuch einer Biene"
Das Leben EINER Biene in wunderschönen Bildern eingefangen: Ab dem 7. Oktober ist “Tagebuch einer Biene” im Kino zu sehen.
Di 5. Oktober 2021 von Katrin Sonnleitner, Nick Leukhardt Kunst&Kultur, RezensionKlassische Musik, eine von Bergen umrahmte, unberührt wirkende Landschaft. Wiesen, Flusslauf, ein alter, dicker Baum reckt seine kahlen Äste in den Himmel. Schnee. Wohnen hier die Bienen? Nein, die Kamera zoomt weiter heran, an einen Holzkasten auf der Wiese am Fuße des Stammes: Darin befindet sich das Heim eines Bienenvolkes, um das es in den nächsten etwa 90 Minuten gehen wird.
EINE Biene im Fokus
Dort verfolgt das Kamerateam den Lebenslauf der Protagonistin des Films, der kleinen Bee. Sie steht als Einzelbiene im Fokus, so dass der Kinofilm ein wenig wie die Realverfilmung des Lebens der berühmten Biene Maja anmutet. In solch einem Unterhaltungsprodukt ein interessanter und spannender Ansatz, der jedoch aus unserer Sicht einen gewissen Kritikpunkt darstellt.
Denn selbst für langjährige Bienenhalter*innen ist es immer wieder eine Herausforderung, den Blick auf den Gesamtorganismus Bien zu wahren. Und so trägt die dauerhafte Perspektive auf das Einzelwesen nicht dazu bei, eine ganzheitliche Sichtweise, die für das Verständnis der Lebensweise eines Bienenvolkes unabdingbar ist, zu fördern.
So erfüllt die Handlung zwar absolut das in Titel und Filmbeschreibung gemachte Versprechen, eine Einzelbiene zu begleiten, doch wir hätten uns gewünscht, dieses Einzelwesen im umfassenderen Kontext des Gesamtwesens zu betrachten.
Staunen erlaubt
Nichtsdestotrotz ist der Film für das, was er sein will, durchaus gelungen. Er unterhält, zeigt die Biene als den Alleskönner, der sie wirklich ist und sorgt mit seinen beeindruckenden Bildern regelmäßig für fallende Kinnladen. Denn auch unsere Augen wurden ob der puren Schönheit der Aufnahmen in und um den Bienenstock herum regelmäßig groß. Gestochen scharfe Nah- und Zeitlupenaufnahmen der Geschehnisse im Bienenvolk beeindrucken sowohl Laien als auch waschechte Bienenkenner. Ein regelrechter Augenschmaus, der vor allem auf einer größeren Leinwand (im besten Fall natürlich im Kino) eine beeindruckende Wirkung entfaltet. In Kombination mit Anna und Nellie Thalbachs Stimmen entsteht so ein gut unterhaltender Film, der vor allem Familien in seinen Bann ziehen dürfte.
Die Abfolge unterschiedlicher Aufgaben der Arbeitsbiene in ihrem Leben sind recht genau und korrekt beschrieben. Andere, wie der Schwarmprozess, werden arg verkürzt und in falscher Reihenfolge dargestellt. So zieht in der Realität der Mutterschwarm mit der alten Königin aus, bevor eine junge Königin schlüpft. Der eigentliche Schwarmakt, bei dem tausende Bienen förmlich aus dem Stock quillen, in der Luft auseinanderstreben und sich schließlich wieder an einem Ort zu einer Schwarmtraube verdichten, hätte mit der offensichtlich großen Erfahrung des Kamerateams eindrucksvoller eingefangen werden können.
Da fehlt doch etwas?
Nun, eine junge Königin ist geschlüpft. Spätestens jetzt fällt eine Lücke auf, die im ganzen Film nicht mehr geschlossen wird: Wo bitte sind die Männer? Auch wenn die Geschichte im weiteren Verlauf den Teil des Bienenvolks begleitet, der sich mit der früheren Stockmutter (die bereits begattete alte Königin) in eine neue Behausung aufgemacht hat, wird zu keiner Zeit auf die Bedeutung der männlichen Bienen, der Drohnen, eingegangen. Sind sie etwa – wie in der konventionellen Imkerei (man möge uns den Vergleich verzeihen) – dem Schnitt zum Opfer gefallen?
Ein Bienenvolk zu beobachten, in dem keine Varroamilben auftreten, die Bienen schwächen und Krankheiten verbreiten, fühlt sich zwar heilsam an, ist aber leider unrealistisch. Stattdessen erleben wir die (streng unter Artenschutz stehende) Hornisse als Gegner des Bienenvolkes. Auch wenn in der Realität einzelne Hornissen einzelne Bienen fangen, was für ein gesundes Bienenvolk kein Problem darstellt, ist die Bedeutung der Hornisse für unser Ökosystem größer als der etwaige Verlust einzelner Bienen. Indem dieses Feindbild schon bei den jüngsten Kinobesuchern aufgebaut wird, verpasst der Film eine Chance, auf wichtige Zusammenhänge im Ökosystem hinzuweisen und die unvoreingenommene Neugier von Kindern zu fördern.
Der Mensch tritt im Tagebuch einer Biene zweimal direkt in Aktion: Als sich die kleine Biene am Marmeladebrot labt (dürfen wir dies als Hinweis auf den allgemeinen Nahrungsmangel in der Umgebung des Bienenvolkes deuten?), führt dies zu einem eher unerquicklichen Zusammentreffen mit einem riesenhaften Arm, der sie davonwedeln möchte. Die zweite Begegnung: Eine von den Bienen als reiche Nahrungsquelle entdeckte Blumenwiese wird von einem Traktor abgemäht – davon kann vmtl. jede Biene ein Lied singen…
Unser Fazit
Am Ende wird man einen Einblick in eine sonst meist verborgene Welt erhalten haben, der sicher einige Faszination vermittelt. Die Bilder sind wahrlich beeindruckend und sorgen, auch in Kombination mit den Stimmen von Anna und Nellie Thalbach, für kurzweilige Unterhaltung. Fachlich ist der Film ebenfalls gelungen, auch wenn einige zentrale Aspekte im Leben einer Biene bzw. eines Bienenvolkes nur angerissen oder ganz herausgelassen werden.