Varroatoleranz und die Verantwortung der Imker
Wir alle träumen von einer Bienenhaltung ohne Varroabekämpfung! Und tatsächlich gibt auf allen Kontinenten Völker, mit der Milbe überleben können. Drei Imker haben wir in der letzten Sommer-Ausgabe der Biene-Mensch-Natur vorgestellt. So sehr wir David Heaf, Fridolin Hess und Albert Muller bewundern und beneiden, so sehr müssen wir davon abraten, es ihnen gleichzutun. Doch der Reihe nach.
Do 25. Juni 2020 von Johannes Wirz, Norbert Poeplau, Gastautor*in BieneMenschNatur.38, Bienengesundheit, Hypes&Hoffnungen, Varroa, wildlebende BienenWer nicht behandelt, muss mit dem Totalverlust seiner Völker rechnen
Nicht-Behandler propagieren in Deutschland und anderswo eine darwinistische Bienenhaltung, bei der keine Milben abgetötet werden, sondern auf die natürliche Selektion gesetzt wird, und die oft sogar auf Zuckerfütterung verzichten – wissend, dass spätestens nach drei Jahren 90 Prozent ihrer Völker gestorben sind. Im statistischen Durchschnitt wird also von zehn Völkern noch eines leben. Doch weil die Statistik sich nicht um Einzelfälle kümmert, werden Kleinimker mit zehn Völkern mit großer Wahrscheinlichkeit immer wieder mit Totalverlusten rechnen müssen.
Es gibt einige Gründe, weshalb ein Verzicht auf Behandlung gegen die Milbe gegen alle Regeln verstößt:
- Erstens übernehmen wir als Imker für Völker in unserer Obhut eine Verantwortung.
- Zweitens ist es aus tierethischer Perspektive problematisch, das Sterben unserer Schützlinge billigend in Kauf zu nehmen.
- Und drittens gilt in Deutschland die Varroa als seuchenpflichtige Krankheit, die es zu behandeln gilt, ob wir wollen oder nicht.
Vorsicht vor einfachen Antworten: Es gibt kein Patentrezept für die Varroatoleranz!
Bis heute wissen wir nicht, unter welchen Bedingungen Völker ohne Behandlung überleben. Wir kennen die Verhaltensweisen der Bienen, die helfen, die Milben in Schach zu halten, wir wissen, dass häufiges Schwärmen die Milbenbelastung reduziert. Wir wissen, dass die Größe der Völker einen entscheidenden Einfluss hat, genauso wie die Völkerdichte. Aber wir haben auch gelernt, dass Nektarmangel und Pestizide die Abwehrkraft unserer Völker schwächen. Wie alle diese Faktoren zusammenspielen, ist unbekannt.
Es ist unsinnig zu behaupten, dass das Völkersterben auf unsere gezüchteten Völker zurückzuführen ist und, dass ursprüngliche Waldbienen den Umgang mit der Varroa noch „in den Genen“ haben. Vergangenes Jahr haben wir in der Schweiz in einem Forstrevier von acht Quadratkilometern ein Waldbienenprojekt gestartet. In diesem Revier wurden in den letzten 30 Jahren lediglich zwei Bienenvölkern in Bäumen gesichtet. Beide Bienenvölker überlebten den folgenden Winter nicht. Geeignete Bäume mit genügend großen Höhlen fehlen, weil sie nach dem Waldgesetz nach spätestens 80 Jahren geschlagen werden dürfen. In so jungen Bäumen entstehen nur ganz selten Höhlen, die groß genug sind, um Bienenvölkern ausreichend Platz zu bieten.
Schwärme kommen von Imkern
Deshalb haben wir Klotzbeuten in luftige Höhen von 4 bis 7 Metern in Bäume gehängt. Zwei Wochen, nachdem die ersten vier Beuten oben waren, zog in eine von ihnen ein Schwarm ein. Zwei Imker, die ihre Bienenstände in der Nähe aufgebaut hatten, waren überzeugt, dass er aus einem ihrer Völker stammte. Das ist wohl an vielen Orten die Situation. Man schätzt, dass in der Schweiz jedes Jahr circa 30.000 Schwärme unbeabsichtigt aus normalen Völkern ausziehen – wohlgemerkt bei Imkern, die Schwarmverhinderung betreiben, aber eine Weiselzelle übersehen haben. Mit großer Wahrscheinlichkeit handelt es sich bei den allermeisten Völkern, die im Wald in Bäumen eine Bleibe finden, um Nachkommen der verbreiteten Zuchtrassen von ganz normalen Imkern!
Als erster Schritt: Bienen-Arzneimittel gezielt reduzieren
Viele Bienenfreunde werden fragen, wie die Zukunft der Bienenhaltung ausschauen wird. Die Antworten darauf sind komplex. Als erste Maßnahme können die Arzneimittel gezielt reduziert werden. Ohne Milbenzählungen ab Juli bis September ist das nicht möglich. Wir müssen uns die Zeit nehmen, genau abzuschätzen, wie viele Milben in den Völkern leben. Aber wir werden behandeln, wenn die Schadschwellen erreicht sind. Dafür muss man sich für Bienenkästen entscheiden, in denen die Zählung auf der Unterlage oder mit Puderzucker möglich ist. Als zweite Maßnahme empfehlen wird die Standbegattung, weil Standort angepasste Bienen vitaler sind als solche mit zugekauften Königinnen.
Auf die Anzahl der Milben kommt es an
Mit wie vielen Milben die Völker in den Winter gehen sollten, wird heute heiß diskutiert. Im Deutschen Bienen Monitoring hat es sich gezeigt, dass es eine eindeutige Korrelation gibt zwischen dem Varroabefall im Oktober und dem Überwinterungserfolg. Der Leiter des Bieneninstituts Kirchhain Dr. Ralph Büchler empfiehlt jedoch, mit einer beträchtlichen Milbenzahl in den Winter zu gehen, um die Anpassung der Völker an den Parasiten zu verbessern. An der Fischermühle empfehlen wir Anfängern, mit weniger als 50 Milben ins neue Bienenjahr zu starten. Das ist der Fall, wenn im Winter pro Tag nicht mehr als eine Milbe auf der Unterlage zu finden ist.
Forschungsprojekt: Totalverlust sogar bei Königinnen aus resistenten Völkern
Varroamilben (Foto: Norbert Poeplau) Immer wieder werden wir in unserer Versuchsimkerei gefragt und manchmal angefeindet, weshalb wir nicht schon längst auf die Behandlung verzichten. Wir tun es immer wieder. Aber ein kontrolliertes Sterben gibt es nicht. Wir haben zum Beispiel 2018 ein Forschungsprojekt gestartet, in dem wir mit Königinnen aus einer Varroaresistenzzucht (!) Völker mit Bienen aus resistenten und nicht resistenten Völkern gebildet haben (siehe BMN 37). Im Frühjahr 2020 haben wir das letzte der anfänglich 20 Völker verloren. Zum Glück haben wir den gleichen Versuch auch in der Region des Züchters aufgebaut, wo immerhin noch 12 Völker leben. Wir setzen den Versuch dort fort – eventuell bis zum bitteren Ende.
Wer Bienen liebt, leidet immer unter Völkerverlusten. Es gibt keinen goldenen Weg. Entweder reduzieren wir die Milben mit den organischen Säuren, die auch Nebenwirkungen haben, oder mit verschiedenen Methoden der Brutunterbrechung. In beiden Fällen können die Winterverluste minimiert und die Bienen gesund ausgewintert werden.
Zucht und Selektion auf Varroatoleranz denkbar
Wir könnten uns vorstellen, auf Varroaresistenz zu züchten. Doch dafür müssten sich in einer Region Imker mit insgesamt mindestens 200 Völkern finden, die auf eine Behandlung verzichten, genügend Abstand zwischen den einzelnen Völkern wahren, Standbegattung praktizieren und eine Umgebung schaffen, die das ganze Jahr über ausreichend Nektartracht garantiert. Das wäre nicht nur ein großes Bienenprojekt, sondern auch ein ebenso großes soziales Unterfangen. Es bräuchte nicht nur Bienenhalter, sondern auch eine Befreiung von der Behandlungspflicht sowie die Unterstützung durch Landwirte mit guten Blühflächen. Die Hoffnung, dass es einmal eine solche Gelegenheit gibt, stirbt zuletzt.
Ein weiterer Ansatzpunkt ist die gezielte Selektion bestimmter Eigenschaften, die im Zusammenhang stehen mit der Widerstandsfähigkeit von Bienenvölkern gegenüber der Varroamilbe. In diesem Bereich wird aktuell in einem bundesweiten Projekt gearbeitet.
Bienen sterben lassen ist keine Option
Wer sich heute an Bienenvölkern freuen will, muss etwas gegen die Milben unternehmen. Gerade Anfänger sollten aus unserer Sicht erst einmal die Freude und Schönheit möglichst all ihrer lebenden Bienenvölker genießen können, bevor sie dann vielleicht auf der weiteren Suche nach nächsten Schritten der wesensgemäßen Bienenhaltung in das komplizierte Gebiet Toleranzzucht oder –selektion einsteigen. Bienen sterben lassen, kontrolliert oder unkontrolliert, ist keine Option.
Dr. Johannes Wirz, Dr. Eva Frey und Norbert Poeplau