Wege zu einer varroatoleranten Biene
Ein Thema auf unserer letztjährigen Tagung mit Thomas D. Seeley war die Varroatoleranz. Hierzu kamen auch zwei Bienenwissenschaftler aus Deutschland zu Wort: Wolfgang Ritter, Leiter der Abteilung Bienenkunde am Tierhygienischen Institut in Freiburg, merkte kritisch an, dass 1978 ein falscher Entscheid gefällt worden sei, an dem er mitgewirkt habe. In jenem Jahr wurde beschlossen die Varroamilbe zu bekämpfen.
Sa 17. Juni 2017 von Johannes Wirz BieneMenschNatur.32, Bienengesundheit, Forschung, VarroaAus heutiger Sicht wäre es jedoch zielführender gewesen nicht einzugreifen. Die Völker hätten dadurch die Gelegenheit gehabt, selbst mit dem Parasiten zurechtzukommen – durch natürliche Anpassung und Selektion.
Peter Rosenkranz, Leiter der Landesanstalt für Bienenkunde an der Universität Hohenheim, verwies in seinem Referat auf das Seuchenschutzgesetz, das die Behandlung der Völker gegen die Milben zwingend vorschreibt. Er wies darauf hin, dass bei der hohen Bestandsdichte, insbesondere in den Städten, die Völker ohne Behandlung keine Überlebenschance haben. Zudem führe der Verzicht auf Behandlung einzelner Imker unter diesen Umständen nicht zu einer Selektion auf Varroatoleranz. Unkontrolliertes Absterben unbehandelter Völker führe zu einer Verschärfung des Reinvasionsdrucks.
Die üblichen Bekämpfungsstrategien verhindern, dass Bienenvölker mit der Milbe umgehen lernen, oder falls sie es können, diese Fähigkeit erkannt werden kann. Auch vor diesem Hintergrund machen sich Experten Gedanken, wie man sich aus der Behandlungstretmühle befreien könnte – sei es durch Resistenz- oder Toleranzzüchtung.
Viele Zeichen deuten darauf hin, dass sich der Fokus in den Bienenwissenschaften von der kontrollierten Kreuzungszüchtung für bestimmte Merkmale auf die natürliche Selektionszucht verschiebt. Die Gründe hierfür liegen auf der Hand. In den letzten 20 Jahren hat die Züchtungsforschung für Einzelmerkmale wie Hygieneverhalten, Beeinflussung der Vermehrungsrate der Milben keine nennenswerten Erfolge gebracht. Umgekehrt zeigen viele Beispiele, unter anderem auf Gotland, in Avignon, Wales, im Arnot Forest und in der Ostschweiz, dass durch Anpassung und Selektion in wenigen Jahren varroatolerante Völker entstehen können.
Es fällt auf, dass die Völker verschiedene Strategien benutzen und äußere Bedingungen eine zentrale Rolle spielen. Hierzu zählen zwei wichtige Faktoren: Der erste ist die Völkerdichte, welche in Wales gut dokumentiert ist (0.4 Völker/km²). Unabhängig von Betriebsweise und Beutensystem haben 2015 in einer Umfrage Imker 100 Völker gemeldet, die mit organischen Säuren behandelt, und über 400 Völker, die nicht behandelt wurden. 2010, also fünf Jahre vorher, hatte eine Mehrheit der Imker die Säuren benutzt. Der Grund für die Verschiebung ist einfach: Über fünf Jahre gerechnet lagen die durchschnittlichen Winterverluste bei den Behandlern bei 19 Prozent, bei den Nicht-Behandlern bei 13 Prozent. Weshalb sich die Mühe machen zu behandeln, wenn es den Völkern ohne Säuren besser geht?
Der zweite wichtige Faktor heißt standortangepasste Bienenvölker. Eine Studie von COLOSS (Prevention of honey bee COlony LOSSes)¹, einem Konsortium aus Bienenwissenschaftlern in Europa, hat in einem Vergleichsversuch von 600 Völkern mit standortangepassten und nicht-standortangepassten Königinnen gezeigt, dass bei den angepassten bei Nicht-Behandlung nach knapp drei Jahre dreimal so viele Völker überlebten als bei der Gruppe mit fremden Königinnen. Außerdem waren die angepassten Völker größer, sanftmütiger und trugen tendenziell mehr Honig ein.
Die beiden Beispiele sind wichtig, weil es vollständig in den Händen der Imker liegt, Maßnahmen für die Veränderung der genannten Bedingungen zu ergreifen. Darüber hinaus bestätigen sie zwei Aspekte der wesensgemäßen Bienenhaltung. Nach Rudolf Steiner haben Krankheiten bei Pflanze und Tier regulatorische Funktionen. Erst wenn die äußeren Bedingungen sehr ungünstig werden, führen sie zu Problemen. Bei den Bienen tragen eine Reduktion der Völkerdichte und eine optimale Versorgung der Völker mit Pollen und Nektar viel zum Überleben der Völker bei. Der zweite Aspekt betrifft die künstliche Königinnenzucht, die in der Praxis meist mit dem Zusetzen zugekaufter, nicht an den Standort angepassten Jungköniginnen einhergeht. Auf diese Problematik wies Steiner schon 1923 in seinen Vorträgen über die Bienen hin. Umgekehrt darf man sagen, dass Standbegattung und Verzicht auf die künstliche Zucht wichtige Maßnahmen zur Verbesserung der Gesundheit unserer Bienenvölker sind.
Johannes Wirz
¹ Ralph Büchler et al. (2014): The influence of genetic origin and its interaction with environmental effects on the survival of Apis mellifera L. colonies in Europe. Journal of Apicultural Research 53 (2), 205-214