


Wie richten Bienen ihre Behausung ein?
Auch in diesem Beitrag zur Bienenwohnung erlaube ich mir nochmals den Imker unberücksichtigt zu lassen und bitte bei ungeduldigen Kollegen vorbeugend um Verständnis. Diesmal heißt die Frage: Wie richten sich die Bienen eine Wohnung ein, die nicht möbliert ist?
Mo 9. März 2009 von Thomas Radetzki BieneMenschNatur.16, Bienenwohnung, Wesensgemäße Bienenhaltung, wildlebende Bienen
Aus der Serie: „Die Bienenwohnung“, Teil 4
In den vorangegangenen Beiträgen ging es um das Verhalten des Bienenschwarms beim Suchen und Auswählen der neuen Behausung. Wenn er nun einziehen will, löst er sich von der Anlegestelle und fliegt als brausende Wolke aus zehn bis zwanzigtausend Bienen zügig zu seinem Ziel. Ihm zu begegnen ist ein beeindruckendes Erlebnis, das man nicht vergisst.
Sterzelnde Bienen am Flugloch locken die Schwestern heim. (Foto: Thomas Radetzki)
Über der neuen Bleibe sammelt er sich in der Luft. Die ersten Spurbienen lassen sich am Eingang nieder und „sterzeln“ (siehe Bild). Sie strecken den Hinterleib hoch, stellen die letzten beiden Rückenschuppen auf und legen damit ihre Duftdrüsen frei. Durch Fächeln der Flügel erzeugen sie einen intensiven Luftstrom, über den sich ein wunderbarer Duft ausbreitet und die anderen Bienen anlockt. Wie ein Wasserstrudel zieht die Masse der Bienen durch das neue Flugloch ein – es scheint, als werden sie eingesaugt. Der hohle Baum, die Bienenwohnung, wird zur Haut des in ihn einziehenden Bienenwesens, das nun den Prozess seiner Leibesbildung beginnt. Der Bien schafft sich jetzt seinen Wärmeorganismus, prägt seinen Stockduft, beginnt den flüssigen Nektar zu sammeln und zu verwandeln und schwitzt das Wachs aus, mit dem er die festen Waben als Skelett seines Leibes baut. Nach ihrer Begattung beginnt die junge Königin in den frisch gebauten Wabenzellen ihre Eier abzulegen. In der Tradition der Heideimker hatte man noch ein Gefühl für diesen Inkarnationsprozess des Biens, dessen Abschluss sie in der Verdeckelung der ersten Arbeiterinnenbrut sahen. Es hieß dann: „Der Bien ist klug geworden“. Auch als heutige Imker wissen wir, dass die Jungkönigin erst „fest im Sattel sitzt“, wenn dieses Entwicklungsstadium erreicht ist.
Der erste Flugbetrieb setzt schon ein, noch während das Brummen der sterzelnden Spurbienen zu hören ist. Das Flugloch wird zum faszinierenden Ort, an dem sich Innenwelt und Außenwelt begegnen. Dort schauen wir als Imker zuerst hin, um uns einen Eindruck vom Zustand des Volkes und der Tracht zu verschaffen. Über viele Quadratkilometer hin sammelt das Volk in der hellen Landschaft Nektar, Pollen, Kittharz und Wasser, um sich diese Stoffe im Stockdunklen zu Eigen zu machen, zu verarbeiten und zu konzentrieren.
Das Bienenwachs ist eine innerliche Verarbeitung von Pollen und Nektar. Normalerweise sind die Wachsdrüsen der Jungbienen vornehmlich in der Zeit vom 13. bis zum 18. Lebenstag voll entwickelt. Durch den Schwarmprozess sind jedoch auch die Wachsdrüsen der älteren Bienen aktiviert und die Bauleistung des Volkes ist gewaltig. An der Decke der neuen Behausung hängt sich der Schwarm wieder als Traube auf. Entsprechend der Temperatur verketten sich die Bienen zu einer mehr oder weniger festen Masse, zum Bienenfleisch. Verborgen in dieser vitalen Masse wachsen die Wachswaben von oben herab. Die noch nicht bebrüteten frischen Waben, so genannte Jungfernwaben, sind schneeweiß. Im freien Naturwabenbau gruppieren sich die Waben paarweise um eine Zentralwabe, die am weitesten heruntergebaut ist. Wegen ihrer Form werden diese Waben „Herzwaben“ genannt. Die Pracht solchen jungen Wabenwerkes gehört zu den schönsten Erlebnissen bei den Bienen. In der jugendlichen Phase der Volksentwicklung ist erlebbar, dass das räumliche Bildungsprinzip des Wabenwerkes im Ganzen ein kugelartiges ist, das sich der Schwere hingibt. Erst wenn der Bau an räumliche Grenzen der Behausung stößt oder sich stark gestreckt hat, geht dieser Eindruck verloren. In der modernen Imkerei mit künstlichen Waben ist dies alles nicht zu erleben und auch nicht von Interesse. Die Imker diskutieren hingegen gerne, ob so genannter Warm- oder Kaltbau besser sei. Gemeint ist die Frage ob die Wabenrähmchen parallel oder rechtwinklig zur Frontseite ausgerichtet sein sollen. Es ist eine typische Frage, für die es auf dem Hintergrund unserer modernen Systeme keine Antwort gibt. Wenn wir Bienen ohne Baurichtungsvorgabe frei bauen lassen, bauen sie den ersten Teil der Waben „schön“ gleichmäßig parallel, um dann auch mal „recht anarchisch“ eine Wabe abzuzweigen und die Richtung des Wabenwerkes aufzuspalten.
In meinem nächsten Beitrag möchte ich dann mehr zu imkerlichen Haltungsfragen kommen – allerdings starten wir in Ägypten, vor 6.000 Jahren…
Thomas Radetzki