Zeidlerei – die Sicht des Baumes oder wer entscheidet was unsachlich ist?
Schadet die Zeidlerei dem Baum oder nicht? Die Meinungen hierzu gehen auseinander.
Fr 19. Mai 2017 von Gastautor*in BieneMenschNatur.32, Bienengesundheit, Bienenwohnung, Forschung, Wesensgemäße Bienenhaltung, Zeidlerei, wildlebende BienenMit diesem Bericht möchten die Autoren die Zeidlerei und deren Auswirkungen aus Sicht des Baumes und des Waldes näherbringen und sich mit Wertungen aus der einen oder anderen Perspektive zurückhalten. Das obliegt dem interessierten Leser.
Wenn Bäume älter werden, entstehen zunehmend Lebensräume. Je nach Baumart dauert es unterschiedlich lange bis sich Rindenspalten, Baumhöhlen, freiliegende Holzkörper oder Totholz entwickeln. Durch Astabbrüche, Stammbrüche, Blitzeinschläge oder andere mechanische Einflüsse entstehen Primärverletzungen (Kraus et al. 2016). Diese sind wiederum attraktiv für Pilze und Insekten, die dann freiliegendes Holz besiedeln können oder Zugang zu den Leitungsbahnen der Bäume bekommen. Ein Baum „freut“ sich nicht darüber und es bedeutet immer, dass er darauf reagiert und versucht, den für ihn entstandenen Schaden zu minimieren.
Typischer Astausbruch mit anschließender Holzzersetzung und Höhlenbildung in einer Buche in den französischen Alpen. (Foto: Frank Krumm) Bäume mit Starkästen, Faulstellen, Verletzungen wurden im Zuge von Durchforstungen entnommen, sogenannte Protzen bei der Jugendpflege entfernt. Trotz allem werden in alten und hohlen Bäumen, die es in Naturwaldreservaten und vereinzelt in bewirtschafteten Wäldern noch gibt, immer wieder verschwärmte Bienenvölker entdeckt. Bienenvölker scheinen also sehr bereitwillig auf das Angebot an Baumhöhlen zu reagieren. Das erscheint logisch, denn die wilde Honigbiene (Apis mellifera mellifera) ist ein Waldtier, dessen natürliches Habitat in unseren Breiten Baumhöhlen sind.
Entsprechend haben sich im Laufe der Evolution Lebensgemeinschaften in solchen Baumhöhlen entwickelt. Die wilde Honigbiene als soziales, staatenbildendes Insekt produziert über das Jahr sehr viel Biomasse. Ganze Verwertergesellschaften sind davon abhängig, zahlreiche Parasiten, Symbionten, räuberische Insekten, Vögel und Säugetiere finden Nahrung. Die Vielfalt in einer natürlichen Bienenhöhle hängt von vielen Faktoren ab, allerdings wurden bis zu 30 Insektenarten, 180 Milbenarten und über 8000 Mikroorganismen in solchen von Bienen besiedelten Habitaten gefunden (Voigt 2014; Ruppertshofen 1995) Eine Wachsmotte gehört hier genauso zur natürlichen Lebensgemeinschaft wie der Borkenkäfer zur Fichte. Beide Insektenarten sind in Kulturen – verständlicherweise – unerwünscht. Das steht hier nicht zur Debatte, trotzdem ist es wichtig natürliche Ökosysteme besser zu verstehen, um entsprechend sinnvoll reagieren zu können.
Welche Rolle spielt die Zeidlerei?
Im späten Mittelalter wurden die Zeidler regional sehr einflussreich. Letztlich hat das Abwipfeln von Bäumen, Brennen der Bodenvegetation, Beuten schlagen zu forstwirtschaftlich nicht akzeptablen Waldbildern geführt (Wagner 1895). Ökologisch sind aber solche gestörten Ökosysteme sehr interessant und werden vielfach durch ihre neuen Nischen und Prozesse geschätzt.
Traditionell haben Zeidler meistens die Waldkiefer, Eichen, teilweise auch Lärchen als Beutenbäume ausgewählt. Solche bezeidelten Bäume hatten und haben einen hohen Wert und wurden häufig über mehrere Generationen vererbt. Nicht selten werden die Bäume über 300 Jahre und länger bezeidelt. Bei der Waldkiefer gibt es im Norden und Nordosten Europas Bäume, die absichtlich am Stammfuß verletzt werden, um den Harzfluss zu fördern. Das Holz wird durch die Harzeinlagerungen sehr dauerhaft und die Bäume können entsprechend sehr alt werden. Im Naturwaldreservat Bialoweza, in Ostpolen, hat man bis dato 120 bezeidelte Bäume kartiert. Die Kiefern, Eichen und Lärchen sind nicht mehr betrieben, einige sind zusammengebrochen und zeigen wiederholt ein spannendes Phänomen: Während der Großteil der liegenden Bäume bereits verschiedenen Zerfallsphasen unterliegt, sind die Bereiche der Bäume, die bezeidelt wurden bzw. von Bienen bewohnt wurden noch weitgehend intakt. Das lässt darauf schließen, dass Propolis fungizid wirkt und die Besiedelung von holzzersetzenden Pilzen verhindern kann bzw. verzögert.
Eine von min. 120 Zeidlerhöhlen,die bis jetzt im Bialowieza Nationalpark entdeckt wurden. Die Höhle wurde seit 1888 nicht mehr bewirtschaftet. Die Kiefer ist etwa um 1900 gestorben und wird nach etwa 120 Jahren als stehendes Totholz demnächst umfallen. (Foto: Frank Krumm)
Das Anlegen einer Höhle, wie es traditionell in der Zeidlerei gemacht wird, ist zwar eine unnatürliche Verletzung des Baumes, allerdings mit ähnlichen Folgen wie natürliche mechanische Verletzungen. Durch die Wahl eines vitalen Baumes soll sichergestellt werden, dass dieser auf die entstandenen Wunden sowie auf statische Einbußen durch weiteres Dickenwachstum (Bildung von Reaktionsholz) reagieren kann. Der Stofftransport des Baumes findet im äußeren Stammteil statt, weswegen das Belassen einer Restwandstärke von mindestens 10cm sehr wichtig ist. Trotz des Anlegens einer Bienenbeute inklusive der Verletzung bleiben die entscheidenden Lebensfunktionen eines Baumes intakt, außer im Bereich der 15cm breiten Kontrollöffnung.
Während der Bezeidelung sind Bäume durchaus stabil; wir wissen, dass hohle Bäume nicht zwangsläufig brechen. Um auf die Eingangsfrage des Artikels zurückzukommen, ob die Zeidlerei einem Baum schadet: Dem einzelnen Baum wird ein mechanischer Schaden zugefügt. Die Konsequenzen für einen Baum sind dabei relativ, dass heißt, es kommt auf die Baumart und die Umweltfaktoren an. Wenn ein Baum tatsächlich irgendwann aufgrund der Höhle bricht, dann darf er das auch im Sinne der Schaffung von Habitatstrukturen und Totholz! Die Wichtigkeit solcher Elemente im Ökosystem Wald ist unbestritten. Hohle Bäume sind Bestandteile des Ökosystems Wald, langfristig profitiert ein Einzelbaum von einem vielfältigen, also gesunden Ökosystem. Auch das ist unbestritten.
Zeidlerei sollte nicht der neue Imker-Standard werden, aber sie ist eine interessante Methode der naturnahen Bienenhaltung, von der man einiges lernen kann.
Grundsätzlich sollte die Zeidlerei am besten dort ausgeführt werden, wo es geeigneten Lebensraum gibt: lichte, warme Wälder mit geeigneten Baumarten und Strukturen wie ausgeprägte Waldränder oder auch naturnahe Gewässer. Keinesfalls möchten wir vorschlagen, dies als Imkerei-Standard einzuführen, aber moderne, angepasste Zeidlerei ist eine interessante Methode der naturnahen Bienenhaltung, von der man einiges lernen kann. Die Forschung und Beobachtung von Konsequenzen der Zeidlerei liefert spannende Erkenntnisse und zeigt schon jetzt klar, dass sich eine große Diskrepanz zwischen der Bienenhaltung und der Erhaltung einer, möglicherweise mehrerer natürlichen Arten besteht.
Dr. Frank Krumm, Andreas Schuck, Alexander Held und Daniel Kraus
(Die Autoren sind Gründer des Vereins Integrate e. V., Forstwissenschaftler und Mitarbeiter des WSL Instituts für Wald, Schnee und Landschaft, Schweiz)
Literatur
- Ruppertshofen, H. (1995): Der summende Wald: Waldimkerei und Waldhygiene. 8. Auflage, München, Ehrenwirth
- Kraus, D., Bütler, R., Krumm, F., Lachat, T., Larrieu, L., Mergner, U., Paillet, Y., Rydkvist, T., Schuck, A., and Winter, S., (2016): Catalogue of tree microhabitats – Reference field list. Integrate+ Technical Paper. 16p.
- Voigt, W. (2013): Kommt der graue Frühling?: Dem Bienensterben entgegenwirken – Jeder kann etwas tun! Frieling und Hoffmann. 232 Seiten.
- Wagner, M. (1895): Das Zeidelwesen und seine Ordnung im Mittelalter und in der neueren Zeit. LIVIVO – ZB MED-Suchportal Lebenswissenschaften. 114 Seiten.
- Grobov O. F. (1985): Additional data on the acarine fauna in some Hymenoptera; p. 90. [Ru. Date: 8.IV.1985].
- Kosarev M. N. (2000): Èkologičeskije i technologičeskije aspekty sochranenija genofonda bortevoj pčely//Dissertacija na soiskanije učenoj stepeni kandidata sel´´skochozjajstvennych nauk. Irgisly: Gosudarstennyj prirodnyj zapovednik „Šulgan-Taš“ (Ökologische und technologische Aspekte für den Erhalt des Genbestands der Zeidlerbiene//Dissertation zum Erwerb des akademischen Grads des Kandidaten der Agrarwissenschaften) Irgisly: Staatliches Naturreservat „Schulgan-Tasch“, 2000.
- Cardinal S, Danforth BN. (2013): Bees diversified in the age of eudicots. Proc R Soc B 280: 20122686.