



Es steckt Haltung in der Bienenhaltung: Ich glaube, alle Imker lieben ihre Bienen. Niemand macht den Job, wenn er Bienen nicht mag. Das haben wir alle gemeinsam.
S. 4 (dieses und die folgenden Zitate stammen aus dem Buch von Peter Niedersteiner)
Unser Imker Benedikt hat mich neulich auf das Buch »Zwischen Staunen und Zweifeln« von Peter Niedersteiner aufmerksam gemacht und meinte irgendwas mit „Solidarischer Imkerei“ und es würde mich sicher interessieren. Als ich das Buch dann mal schnell durchgeblättert hatte, war der Funke aber noch nicht sofort übergesprungen. Es handelt sich um eine ethnologische Dissertationsschrift an der Ludwig-Maximilans-Universität München aus dem Jahr 2020.
Nachdem ich mir aber die Zeit genommen hatte, in Ruhe und von Anfang an zu lesen, war ich sofort Feuer und Flamme. Mittlerweile habe ich das Buch schon zum zweiten Mal gelesen und gebe Benedikt recht: Ich finde das Buch nicht nur interessant, sondern großartig und einen wichtigen Beitrag für die Standortbestimmung der Bienenhaltung in Deutschland und der Welt und für unsere Diskussion, wo die Zukunft der Wesensgemäßen Bienenhaltung und der Imkerei Fischermühle liegen könnte.
Das Buch ist für eine wissenschaftliche Arbeit leicht lesbar. Es ist lebendig und interessant geschrieben. Das liegt einerseits an Niedersteiners Forschungsfeld. Sein ethnologischer Ansatz besteht in der „teilnehmenden Beobachtung“. Er befragt nicht einfach nur Menschen, sondern begleitet sie ein Stück ihres Wegs und arbeitet mit ihnen an den Bienenvölkern. Er versucht, ihren Blick auf die Bienen und Imkerei von innen heraus zu verstehen, und er teilt seine Erkenntnisse in Form von gründlich reflektierten Erlebnisberichten und Geschichten mit. Dazu kommt noch seine eigene Begeisterung und Liebe zum Bien, zur Natur und zu den Imkern. Er spürt eine „ethische und gesellschaftliche Verpflichtung, sich in die laufende Diskussion einzubringen“.
Mich interessierten die sozialen Komponenten der Bienenhaltung, mich interessierten die Menschen.
Niedersteiner, S. 2
Niedersteiner gliedert sein Buch grob in drei Teile. Nachdem er sich selbst, seine Motivation, seinen Weg zur Bienenhaltung und seinen ethnologischen Forschungsansatz vorgestellt hat, nimmt er uns in einem ersten Hauptteil mit auf seine zahlreichen Reisen zu Imker*innen in aller Welt. Ausführlich geht er dabei auf die Zeiten ein, die er mit Imker*innen in Malta und in Laos verbracht hat, da sie wichtige Anstöße für die Entwicklung seines Interpretationsmodells geliefert haben. Er teilt dabei nicht nur seine Erfahrungen, sondern auch die Fragen, die sich daraus für ihn ergeben haben und seine Erkenntnisse, die er daraus zieht. In gewisser Weise wiederholt er dadurch seinen ethnologischen Ansatz für uns Leser*innen: Beim Lesen begleiten wir ihn in ähnlicher Weise, wie er seinerseits Imker*innen begleitet hat. So ermöglicht er uns, seinen Blick auf die Imkerei von innen heraus zu verstehen. Deshalb halte ich es auch nicht für angemessen, ein paar Fakten und Erkenntnisse aus dem Buch als Zusammenfassung zu präsentieren, sondern möchte mit dieser Rezension in erster Linie dazu einladen, sich selbst mit Peter auf die Reise zu begeben.
Eine knappe Zusammenfassung ist auch aus einem anderen Grund nicht angemessen. Niedersteiner macht nicht den Fehler, die vorgefundene Vielschichtigkeit, Komplexität und Widersprüchlichkeit in ein einfaches Modell pressen zu wollen. Er schreibt:
Zur Beantwortung dieser Fragen wäre es nun möglich gewesen, als Interpretationsmodell die Imkerei in Gruppen oder nach bipolaren Kategorien aufzuteilen, wie alt und jung, männlich und weiblich, städtisch und ländlich geprägt, konventionell und biologisch imkernd oder konservativ und innovativ orientiert. Die vorgefundene Situation ist aber komplexer. Es sollen nun keine festen Kategorien eingeführt, sondern ein Feld mit zwei Polen aufgespannt werden, zwischen denen sich die ethischen Grundhaltungen zur Bienenhaltung verorten lassen. Diese beiden Pole bezeichne ich als anleitend kontrollorientierte und als zulassend bienenzentrierte Haltungen zur Imkerei.
Niedersteiner, S. 151
In einem zweiten Hauptteil zeichnet er die Geschichte der Imkerei nach und beschreibt, wie und warum sie sich immer stärker in die Richtung „anleitend kontrolliert“ entwickelt hat. Er identifiziert drei Dilemmata, die daraus entstanden sind:
- Die Rolle und der Wert der Imkerei würden immer unklarer. Imker*innen zerreiben sich zwischen wirtschaftlichen Sachzwängen und Konflikten sowohl mit der Agrarindustrie, als auch mit dem Naturschutz. (Kapitel 6.1)
- Der Umgang mit der Varroamilbe stelle die Imker*innen vor das Dilemma, dass eine fortgesetzte Behandlung gegen die Varroamilbe den Status quo zementiert und langfristig verschlimmert, ein flächendeckender Verzicht auf Varroabehandlung, um eine Anpassung der Biene zu erreichen aber aus verschiedenen Gründen auch nicht möglich ist. (Kapitel 6.2)
- Imker*innen können das Sterben von Bienen nicht zulassen, wobei es ein Unterschied ist, ob sie sich dabei auf die Einzelbiene, das Bienenvolk oder der ganzen Art der Honigbiene beziehen. Dieses Dilemma zeigt sich beispielsweise dann, wenn man den Bienen keine Ameisensäurebehandlung zumuten will, weil Einzelbienen geschädigt werden, dadurch aber den Tod des gesamten Volkes möglicherweise in Kauf nimmt. (Kapitel 6.3)
Aus diesen Dilemmata zögen Imker*innen unterschiedliche Schlüsse, und aktuell befindet sich eine stärker „zulassend bienenzentrierte“ Haltung im Aufwind. Natur- und Bienenschutz rücken dabei in den Fokus, wogegen die Maximierung des Honigertrag an Bedeutung verliert. Extensive Haltungsformen gehören lt. Niedersteiner genauso zu dieser neuen Bewegung, wie das Wiederaufleben der Zeidlerei und am äußersten Ende der Skala die „Darwinistische Bienenhaltung“.
Das Buch könnte an dieser Stelle zu Ende sein. Wir werden bei der Lektüre herausgefordert, unsere eigene Position zwischen den oben beschriebenen Polen neu zu bestimmen und die eigene imkerliche Haltung (im doppelten Wortsinn) zu hinterfragen. Peter nimmt uns aber noch in einem dritten Teil weiter mit auf seiner Reise und beschreibt die Antwort, die er selbst für sich gefunden hat. Für mich persönlich ist das der wichtigste Teil des Buchs.
Für Peter ist „Solidarität“ zu einem Schlüsselbegriff geworden, und er plädiert für eine „solidarische Haltung“ zur Imkerei. Er versucht, das gesamte Beziehungsgeflecht Biene-Mensch-Natur, in den Blick zu nehmen, aus dem wir uns letztlich nicht heraushalten können und beschreibt mit etwas anderen Worten genau das, worum es auch uns in der Wesensgemäßen Bienenhaltung geht. Er sucht neue Wege für einen solidarischen Umgang mit den Honigbienen, der Natur und den Imker*innen untereinander:
An diesem Punkt kommt die solidarische Haltung ins Spiel. Sie versucht den Menschen mitzudenken und basiert auf einem Wissen über die Verbundenheit in einer gemeinsam geteilten Welt […]. Um diesen Anforderungen gerecht zu werden, habe ich versucht, die anleitend kontrollorientierte und die zulassend bienenzentrierte Haltung zusammenzubringen.
Der Begriff der ›Solidarität‹ erfuhr in den letzten Jahren eine neue Beliebtheit. Das liegt besonders an seiner Verwendung im Zusammenhang mit solidarischen Ökonomien. Es geht nun weniger um ein solidarisches Einander-zur-Seite-stehen, wie der Begriff früher in linker Theorie und Praxis in erster Linie verwendet wurde, sondern um ein konkretes Gefühl der Verbundenheit mit etwas, darum, sich selbst als Teil der größeren Zusammenhänge eines Problems zu sehen und sich davon betroffen zu fühlen.[…]
Nun liegt es mir fern, dieselben Rechte für Honigbienen wie für Menschen einzufordern. Vielmehr will ich auf die hier getroffene Unterscheidung zwischen »Wohlfahrt« und »Solidarität« eingehen: Schutzgebiete, beispielsweise für bedrohte Honigbienenarten, folgen einer ähnlichen Logik wie die Wohlfahrt. […] Die solidarische Haltung steht an dieser Stelle im Gegensatz zu Haltungen, deren Motive auf anthropogenem Paternalismus, Dominanz oder auch auf Mitleid und Wohlfahrt basieren. ›Solidarisch‹ bedeutet in Hinblick auf die Haltung zur Imkerei weder die Geschicke der Bienen zu übernehmen, noch sich herauszuhalten. Es bedeutet, die eigene privilegierte und machtvolle Position in Form einer kreativen Macht zu nutzen, um Gestaltungsspielräume zu eröffnen, um damit neue Wege zu ermöglichen, ohne genau festlegen und kontrollieren zu wollen, wohin die Reise geht.[…]
Die Pflege und der weitere Ausbau des wohlmeinenden Umgangs der Imker*innen untereinander, ein Gefühl der Verbundenheit und gegenseitige Hilfsbereitschaft wären wünschenswert. Es ginge um die Herausbildung einer offenen Diskussionskultur, um Erfahrungen zu teilen und darum gemeinsam aus gemachten Fehlern zu lernen. Eine solidarische Haltung kann sich also nicht nur zwischen den Personen und ihren Bienen entwickeln, sondern ebenso im Umgang der Imker*innen miteinander.
An dieser Stelle ist eine Abgrenzung zu rückwärtsgewandten, konservativen oder exklusiven Haltungen wichtig. Weder eine Rückbesinnung auf die Natur noch auf vergangene Zeiten könnte für die Zukunft helfen. Die niemals zuvor dagewesene Situation der zeitgenössischen Imkerei verlangt nach neuen Antworten.
Niedersteiner, S. 178ff, S. 181
Peter hat aus diesen Überlegungen heraus nach dem Vorbild der Solidarischen Landwirtschaft ein Konzept für eine Solidarische Imkerei entwickelt und praktisch umgesetzt: Die „Solid.Imk“.
Das Kürzel »Solid.Imk.« steht in erster Linie für »solidarische Imkerei«. Mit Absicht findet sich darin aber auch der englische Begriff »solid« wieder, der an dieser Stelle auch als das Gegenteil von »prekär« gelesen werden kann.
Niedersteiner, S. 184
In der kapitalistischen, gewinnorientierten Wirtschaft nimmt der prekäre Druck auf die Imkerei, die Bienen und die Landschaft immer mehr zu. In einer bedarfsorientierten solidarischen Wirtschaftsweise sieht er eine Möglichkeit, die Bienen und den Imker*innen ein Stück weit aus den oben beschriebenen Dilemmata herauszuführen und neue Handlungsräume zu eröffnen.
Anstatt gewinnorientiert zu arbeiten, kann durch eine bedarfsorientierte Wirtschaftsweise eine Entspannung eintreten. […] Nicht Gewinnmaximierung ist das ökonomische Ziel, sondern die Fragen: Was brauchen wir? Und welche Landwirtschaft bzw. welche Imkerei wollen wir?
Niedersteiner, S. 185
Peter beschreibt seine Solidarische Imkerei so konkret und transparent (einschließlich der zugrundeliegenden betriebswirtschaftlichen Eckdaten), dass ich mich beim Lesen des Buchs bei dem Gedanken ertappt habe, dass das eine Form der „Berufsimkerei“ wäre, die ich auch für mich vorstellen könnte und die ich mir auch für unsere Lehr- und Versuchsimkerei Fischermühle noch stärker wünschen würde. Unsere BeeGood-Patenschaften waren ja ursprünglich als ein Schritt in diese Richtung gedacht. Vielleicht ist es an der Zeit, das noch konsequenter weiter zu entwickeln.
Ich schließe die Rezension mit dem Text eines Infoblatts, das Peter für seine Solidarische Imkerei entworfen hatte:
Schwarmstimmung! – Die Solidarische Imkerei
Um die Imkerei vom Produktionsdruck zu befreien, möchte ich euch ein solidarisches Modell anbieten:
Ich kümmere mich …
… um das Wohl der Honigbienen in der Imkerei.
… um eine insektenfreundliche Gestaltung und Pflege der Landschaft.
… um die Absicherung der lokalen Bestäubung und Erhöhung des Ertrags durch die Zusammenarbeit mit einer Solidarischen Landwirtschaft.
Ich versorge euch mit …
… Imkereiprodukten wie Honig, Pollen und Propolis, jeweils anteilig an der Gesamternte.
… Veranstaltungen zum Thema Bienen: Imkereikurse, Nektarpflanzenwanderungen und Schleuderpartys.
Dafür versorgt ihr die Imkerei und mich…
… mit einer finanziellen Absicherung durch ein bedarfsorientiertes, nicht gewinnorientiertes Konzept.
… mit der Freiheit, ohne Druck das zu tun, was ich gerne mache und was wir gemeinsam für wichtig erachten.
(aus einem Infoblatt von Peter Niedersteiner, S. 183f)
Das Buch könnt Ihr bei uns im Onlineshop kaufen, oder auch als E-Book kostenlos herunterladen.