


Behandlungsfreie Imkerei und wild lebende Bienen
Ein eindrucksvoller Besuch in einer behandlungsfreien Imkerei in Wales.
Mi 20. Juni 2018 von Gastautor*in Bienengesundheit, Bienenkunde, Bienenwohnung, Forschung, Varroa, wildlebende Bienen
Die Hudsons leben am Rande des Nationalparks Snowdonia in Wales in einer Landschaft, die von viel Regen, dem warmen Golfstrom und der Nähe zur Küste geprägt ist. Die Vegetation ist rau und wird von lockeren Mischwäldern (u.a. Eiche, Ahorn, Birke) und Buschwerk (z.B. Ginster und Weißdorn) mit viel Efeu, Ilex, Moos und ausgedehnten Schafweiden geformt.
Eine überraschende Feststellung
Wir werden von warmherzigen, äußerst gastfreundlichen Menschen empfangen, die in den folgenden Stunden respektvoll und mit großem Engagement ihr Wissen mit uns teilen. Shân und Clive Hudson sind ein erfahrenes Imkerpaar, das etwa 20 Bienenvölker an drei verschiedenen Standorten hält. Folgende Fragen wollte ich mit ihnen besprechen: Gibt es imkerliche Praktiken, die ihre Bienenhaltung ausmacht? Was ist das Besondere ihrer Betriebsweise oder auch ihrer Biene? Welche Faktoren sind es, die ihre Bienen überleben lassen?
In einem YouTube-Video berichten die Hudsons von einer selbständig durchgeführten, 1573 Völker umfassenden Umfrage aus dem Jahr 2010. Sie stellten überrascht fest, dass die Imker in ihrer Region überwiegend nicht gegen die Varroamilbe behandelten. Diese hatten recht nüchtern die Winterverluste von behandelten und nicht behandelten Völkern verglichen und sahen keinen Vorteil in der Behandlung.
Zudem hat Clive Hudson während seiner beruflichen Tätigkeit immer wieder Bienenvölker in Häusern entdeckt, die dort offensichtlich schon jahrelang wild überlebten und einen sehr gesunden Eindruck machten, obwohl auch diese von Varroa befallen waren. Auch wussten sie von wild in Bäumen lebenden Bienenkolonien.
Seit 10 Jahren behandlungsfrei
Die Autorin (l.) mit dem Imker-Ehepaar Hudson. (Foto: Claudia Blauert)
Durch diese Feststellungen und Beobachtungen motiviert, haben Shân und Clive in ihrer eigenen Bienenhaltung auf Behandlungen jeglicher Art gegen Varroa verzichtet – das war im Jahr 2006. Es folgte eine Umstellungszeit von zwei Jahren mit stark reduziertem Varroa Management. Sie konnten beobachten, wie ihre Bienen erst mit der Belastung durch Varroa kämpften und einige nicht überlebten, während die Überlebenden weiter vermehrt wurden.
In England gibt es einen Bienengesundheitsdienst (National Bee Unit) mit sogenannten „Bee Inspectors“. Der zuständige Ansprechpartner für die Region der Hudsons hat die Situation damals ähnlich bewertet wie viele der Imker. Demzufolge hat er auch nicht prinzipiell zur Varroabehandlung geraten. Daraus entwickelte sich eine Region, in der heute behandlungsfrei geimkert werden kann – ohne Nachteile bei der Bienengesundheit oder dem Honigertrag!
Wie imkern die Hudsons?
Neugierig folgen wir zu den Bienenständen. Ich halte meine Nase an die Fluglöcher. Freundliche Bienen, einige sehen der nativen Apis mellifera mellifera, der sogenannten Dunklen Biene, doch recht ähnlich. Immerhin befinden sich auf der angrenzenden Halbinsel Lleyn geschützte Bestände. Aber um die Rasse solle ich mich nicht bekümmern, sagt Clive. Immer wieder betont er den für ihn wichtigsten Faktor: „Locally adapted bees“ – an den Standort angepasste Bienen! Man solle versuchen, natürliche Schwärme zu fangen und keine fremden Königinnen dazukaufen.
Daher berücksichtigen die Hudsons bei der Vermehrung die natürliche Volksentwicklung und den Schwarmtrieb. Sie imkern mit Anfangsstreifen im Naturbau und wenn es sinnvoll ist, ergänzen sie mit Standard-Mittelwänden vom eigenen Wachs (Honigraum). Ihre Bienen leben in Magazinbeuten mit der Rähmchengröße 40,6 × 25,4 cm. Der Boden der Beuten selbst ist geschlossen, der Deckel hat ein kleines Belüftungsgitter.
Nach dem Bienenstand folgt auf unserem Rundgang eine ganz besondere Erfahrung – der Besuch des Bienenbaums, der seit etwa 20 Jahren durchgängig von einem Volk bewohnt wurde. In mir entsteht eine schmerzliche Ahnung, was uns verloren gegangen ist und der Wunsch, ihnen in unserer Welt wieder einen Platz zu geben: Wild lebende Bienen!
Sie sind eine in ihrer Bedeutung nicht zu unterschätzende, genetische Sicherheitsreserve der Natur. Ich meine, das einzige, was die Bienen brauchen, um Varroaresistenz oder auch Varroatoleranz zu entwickeln, ist etwas Zeit und einen aufmerksamen Imker, der sie dabei begleitet ohne sie zu sehr zu stören oder gar diesen Prozess mit vermeintlich gut gemeinten Eingriffen zu verhindern.
Mit Wissenschaftlern vernetzt
Durch ihre Teilnahme an Studien über behandlungsfreie Bienen haben Clive und Shân Kontakte zu Wissenschaftlern, die zum Beispiel erforschen, ob überlebende Völker durch Selektion weniger schädigende Varianten der mit Varroa einhergehenden Viren aufweisen und deshalb trotz Varroa gesund bleiben können. In einem ihrer Stöcke erfassen die Hudsons u.a. auch Daten zur Temperatur.
Im Nachgang an unseren Besuch schrieb Clive in einer E-Mail Mitte Mai begeistert: „Drei wissenschaftliche Arbeiten sind uns in den letzten Tagen bekannt geworden. Eine davon ist das Plädoyer von Tjeerd Blacquière & Delphine Panziera.
Clive findet darin bestätigt, dass die natürliche Selektion nach nur wenigen Jahren, in denen die Varroa-Behandlung unterlassen wird, erfolgreich sein kann. Er leitet daraus folgende Ratschläge ab: „Wählen Sie, so gut Sie können, nur Ihre lokal angepassten Bienen aus. Und sorgen Sie sich nicht darum, die “richtige Biene” selektiv zu züchten oder von woanders zu beziehen. Die Ergebnisse in den neueren wissenschaftlichen Veröffentlichungen (und unsere eigene, glückliche Erfahrung) zeigen, dass es besser ist, die Auswahl der Königinnen den Bienen zu überlassen!“.
Suche nach einem Gleichgewicht
Eine leere Schwarmfangkiste hängt an einer für Bienen attraktiven Stelle. (Foto: Claudia Blauert)
Clive berichtete uns auch von den Brüdern Joseph und Chris Ibbertson aus der Region Northamptonshire. Sie hätten ihn mit ihrem Aufbau einer behandlungsfreien Imkerei sehr beeindruckt. Vor dem Hintergrund der Frage: Wie wollen wir zukünftig Bienen halten?, schrieb mir Josef Ibbertson in einer E-Mail am 29.05.2018: „Konzentrieren wir uns auf die Gesundheit unserer Bienen und wie wir Imker sie mit jedem Eingriff beeinflussen. Wichtig ist zu verstehen, dass Resistenz gegen Varroa/DWV (Deformierte Flügel Virus) ein Gleichgewicht ist zwischen Milbe/Biene/Krankheit. Es kann kein nachhaltiger Erfolg erreicht werden, indem man versucht, eines “besser” zu machen als das andere. Sie müssen ein Gleichgewicht finden!“
Joseph wies auch darauf hin, dass jeder erfolgreiche Versuch, Varroa-Resistenz zu züchten und jede Population Varroa-resistenter Bienen, durch natürliche Selektion entstanden sei. Dass er dem Milbenzählen skeptisch gegenüberstehe, da sich beobachten lasse, dass Kolonien mit hohen und niedrigen Milbenzahlen völlig anders als erwartet reagierten. Zudem überlebten Schwärme aus wilden Kolonien mit wirklich hohen Milbenzahlen oft über Jahre und seien gesund.
Joseph schrieb weiter: „Wir sahen große Unterschiede im Verhalten zwischen unseren überlebenden Kolonien und solchen, die noch nicht so resistent und lokal angepasst sind. Unsere größte Herausforderung waren wir selbst, denn der Mensch tut sich schwer, der Natur ihren Lauf zu lassen – wir wollen die Kontrolle behalten! Natürlich ist es ein schmerzlicher Gedanke, viele Bienen zu verlieren, dass viele Völker kollabieren oder Krankheiten auftreten. Doch das ist alles Teil des Prozesses und Verluste sind „gut“, denn wir behalten doch die stärksten, überlebenden Völker zurück. Wir mussten lernen, an die Bienen und die Wissenschaft zu glauben.“
Josephs wertvollster Rat lautete: „Passen Sie sich an! Sprechen Sie weiter über Ihre Methoden und probieren Sie neue Dinge aus. Jeder Standort ist anders, also finden Sie heraus, welche Methoden für Sie und Ihre Bienen am besten funktionieren.”
Eine Frage nehme ich von diesen Begegnungen und dem Gedankenaustausch mit nach Hause zu meinen Bienen und Imkerkollegen: “Was wäre, wenn…?“ Es wäre großartig, wenn wir eine Antwort gemeinsam und mit unseren Bienen finden, wir haben keine Zeit mehr zu verlieren. Je mehr Imker darüber nachdenken und diskutieren, desto besser für unsere Bienen und damit für uns und unsere Kinder.
Für mich war es außerordentlich wichtig, die Hudsons kennenzulernen. Durch diese Begegnung habe ich mit eigenen Augen gesehen, dass unsere Bienen uns immer wieder überraschen und jenseits unseres aktuellen Wissensstandes Lösungen anbieten können.
Claudia Blauert, Imkerin aus Kevelaer