Begegnungen inspirieren mich
Interview mit Christian Czesla, Mitglied im Beirat von Mellifera e. V. und im Aufsichtsrat der Aurelia Stiftung.
Di 6. September 2016 BieneMenschNatur.31, InterviewChristian Czesla war einmal Steuerberater und ist heute Geschäftsführer einer Beteiligungsgesellschaft, welche Unternehmen berät. Sein Spezialgebiet ist hier die Unternehmensentwicklung. Seit 2014 ist er im Beirat von Mellifera e. V. und seit 2015 im Aufsichtsrat der Aurelia Stiftung. Den Verein berät und begleitet er bereits seit Ende der 1990er Jahre.
Was haben Bienen mit Unternehmen gemeinsam?
Sowohl Bienen als auch Unternehmen stellen Organismen dar. Bei Bienen spricht man von dem Super-Organismus. Unternehmen sind bzw. sollten auch lebendige Einheiten sein, welche aufgabenorientiert durch eigenverantwortlich handelnde Mitarbeiter auftreten. Leider werden die meisten Unternehmen jedoch nicht organisch, sondern mechanisch behandelt, das heißt die Organisation wird von außen bzw. von „oben“ gesteuert und kontrolliert. Das ist sehr schade.
Was können wir von der Zusammenarbeit im Bienenstock für unser menschliches Miteinander lernen?
Mich beeindruckt am meisten die Wandlungsfähigkeit des Biens. Er wandelt sich immer dahin, wo gerade Bedarf herrscht und es werden beispielsweise mehr Sammelbienen oder mehr Baubienen erzeugt. Die meisten Unternehmen oder sozialen Gruppen sind hier noch zu unflexibel. Außerdem funktioniert die Zusammenarbeit im Bienenstock nach einem übergeordneten Prinzip. Bei einem Unternehmen werden diese Prinzipien oft in einem Leitbild ausgedrückt. Mitarbeiter sollten sich viel mehr daran orientieren und sich immer wieder bewusst machen, wem bzw. wozu ihre Arbeit dient.
In vielen Unternehmen wird heute das Konzept der Schwarmintelligenz angewendet. Abgeschaut wurde es im Tierreich, bei Honigbienen und/oder Ameisen. Wie bewertest Du die Übertragung aus dem Tier- ins Menschenreich?
Der Begriff der Schwarmintelligenz wird mittlerweile viel zu unreflektiert und inflationär benutzt. Wendet man Schwarmintelligenz in Unternehmen an führt das meiner Erfahrung nach eher zu faulen Kompromissen als zu positiven Entscheidungen im Sinne der Organisationsentwicklung. Schwarmintelligenz kann Sinn machen, wenn es um gesellschaftliche Zusammenhänge geht. In der Arbeitswelt halte ich sie für weitestgehend fehl am Platz.
Zusammenarbeit ist sowohl bei den Bienen als auch bei Mellifera e. V. wichtig. Du hast einmal gesagt, dass „erst in der Begegnung mit anderen sich die eigene Individualität voll entwickeln kann.“ Kannst Du das näher erläutern?
Nun, hier müssen wir nur einen Blick auf die Entwicklung eines Kindes werfen. Es entwickelt sich im Grunde nur durch soziale Interaktionen mit anderen Menschen. Auch wenn wir unsere eigene Biografie reflektieren, müssen wir uns eingestehen, dass wir hauptsächlich durch Begegnungen mit anderen zu dem wurden was wir sind. Eines meiner Lieblingszitate in diesem Zusammenhang stammt von Martin Buber, es lautet: „Im Du werde ich zum Ich.“ Deshalb sehe ich die aktuellen Entwicklungen eher kritisch. Viele Menschen kommunizieren nur noch über das Internet, direkte persönliche Kontakte nehmen ab. Aber wir sind wie die Bienen soziale Wesen und brauchen einander. Gleiches gilt natürlich sowohl für die Mitarbeiter von Mellifera e. V. als auch für den Verein selbst. Zusammenarbeit, Kooperation, Netzwerke schaffen ist sehr wichtig, wenn man etwas erreichen möchte.
Seit 2014 bist Du Mitglied im Mellifera-Beirat, Du berätst Mellifera e. V. aber schon viel länger. Wie habt Ihr zueinander gefunden?
An seinem Büro-Arbeitsplatz. Ui, das ist schon eine Weile her. Mal sehen, ob ich mich noch erinnere… Ich war damals Berater der Helixor-Stiftung, die ja ebenfalls an der Fischermühle angesiedelt ist. Bei einem Termin lernte ich Thomas [Radetzki] kennen. Da ich mich auf Vereins- und Gemeinnützigkeitsrecht spezialisiert hatte, beriet ich ihn bzw. Mellifera e. V. zunächst in steuerrechtlichen Fragen. Dann stand die erste große Umstrukturierung in deren Zuge Thomas geschäftsführender Vorstand wurde, an. Die Gestaltungsidee stammte von mir, auch die Konzipierung des Beirats.
Was bewegt Dich zu/bei Deinem Engagement für Mellifera e. V.?
Ich habe die fachliche Arbeit von Mellifera e. V. immer geschätzt und insbesondere der Einsatz von Thomas und Marion [Völkle] hat mich sehr beeindruckt. Dennoch war ich nicht in dem Sinne berührt, dass ich selbst Imker werden wollte. Bis dato hatte ich mit Bienen keine große Verbindung. Für mich wurde es spannend, als 2010 feststand, dass Mellifera e. V. wachsen soll. Nicht nur im personellen Sinne, die ganzen Strukturen mussten neu definiert werden. An diesem Wandlungsprozess musste viel gearbeitet werden bzw. wird noch immer gearbeitet. Vor zwei Jahren gab es dann die zweite große Umstrukturierung mit der Gründung der Aurelia Stiftung und dem damit verbundenen Ausscheiden von Thomas. Ein neuer Vorstand und Beirat wurden gewählt und auch ich wollte diese Umwandlungsprozesse von Mellifera e. V. stärker begleiten und bin seit dem Mitglied des Beirats. Ich finde die Metamorphose, die der Verein gerade durchlebt, unglaublich spannend.
An der Imkerei Fischermühle. Was ist Deiner Meinung nach die zentrale Aufgabe von Mellifera e. V.?
Mellifera e. V. ist für mich ein Ort, wo Menschen, welche sich für eine wesensgemäße Bienenhaltung interessieren und auch mit den geistigen Fragen zur Bienenhaltung auseinandersetzen möchten, zusammenkommen. Mellifera e. V. ist der Ort, wo die Substanz entsteht, welche von der Aurelia Stiftung unter dem Motto „Es lebe die Biene“ in die Welt getragen wird. „Bienen machen Schule“ nimmt eine zentrale Rolle bei Mellifera e. V. ein und wird sich eigenständig weiterentwickeln, denn Kinder sind unsere Zukunft.
Wie sieht es mit Deiner imkerlichen Kariere aus?
(lacht) Ach, ich finde Bienen wunderschön, ich esse gerne Honig und interessiere mich sehr für Apitherapie. Die Bienen sind für mich Ausdruck unseres Umgangs mit der Welt. Dennoch werde ich mich künftig eher wieder auf die wilden Bienen konzentrieren und in meinem Garten mein Wildbienenhotel wiedereröffnen. Das alte musste leider gärtnerischen Umbaumaßnahmen weichen. Außerdem stehen bei mir in unmittelbarer Nachbarschaft Bienenstöcke, welche ich oft besuche. Bienen faszinieren mich, ganz klar, meine Inspiration hole ich mir jedoch hauptsächlich in der Begegnung mit meinen Mitmenschen.
Dein Lieblingshonig?
Ganz klar Waldhonig. Nicht zu süß, nicht zu herb, so mag ich das.
Interview: Sarah Bude