Drei Konflikte zum Nutzen von einem
Saubere Solarstromerzeugung bringt mehrere Probleme mit sich. Mit Agri-Photovoltaik gibt es eine Lösung, die gut für Landwirt*innen und blütenbesuchende Insekten ist.
Fr 8. März 2024 BieneMenschNatur.45Wir brauchen die Energiewende, um einen immer drastischer werdenden Klimawandel zu bremsen, klar. Solarstromerzeugung (Photovoltaik) wird dabei eine sehr große Rolle spielen. Auch klar. Photovoltaik gehört zuallererst auf die Dächer, bevor man Anlagen in der Freifläche aufstellt – ebenfalls klar.
Die Realität: Nach langem Verschleppen klimafreundlicher Energieerzeugung kann es nun offenbar einfach nicht schnell genug gehen. Dachflächen werden vor allem aufgrund von Bürokratie nicht flächendeckend zur Stromerzeugung genutzt, nicht einmal die öffentlichen Gebäude leisten den vollen, möglichen Beitrag zur sauberen Stromerzeugung. Deshalb geht es jetzt verstärkt auf die Freifläche.
Das Problem mit der Freiflächen-Photovoltaik
Wir werden uns mit mehr Silizium in der Landschaft in Form von Photovoltaik-Modulen anfreunden müssen. Aber wie so oft im Leben kommt es hier auch auf das „Wie“ an. Die aktuell einsetzende Geschwindigkeit im Photovoltaik-Ausbau – der Bundeskanzler nennt es „Deutschlandtempo“ – scheint zu verhindern, dass nachgedacht wird und Folgen abgeschätzt werden. So werden nun verstärkt bodennahe Freiflächen-PV-Anlagen auf Äcker und Wiesen gesetzt.
Folge Nummer 1: Diese Flächen verlieren ihre bisherige Funktion als Flächen zur Lebensmittelerzeugung. Damit es sich aber ökologischer anfühlt, werden wir vom Netzwerk Blühende Landschaft (NBL) verstärkt angefragt, zu Aussaaten unter diesen bodennahen PV-Flächen zu beraten. Das folgt aber meist keinem integrativen Konzept, sondern ist eher eine PR-Maßnahme à la „da werfen wir halt Blumensamen darunter, dann sind alle glücklich“. Obwohl wir nach wie vor zu unserem Motto „Jede Blüte zählt“ stehen und uns über neue Flächen für Bienen, Hummeln, Schmetterlinge & Co. freuen, hat das Ganze einen Beigeschmack. Denn erstens reicht es nicht, Blumensamen unter so eine Anlage zu streuen. Vielmehr kommt es auch darauf an, wie der Untergrund aufgebaut ist, wie das Nährstoffniveau dort ist und wie die Flächen in Folge gepflegt werden. Hier braucht es also durchdachte Konzepte für jeden Standort.
Die Umwandlung von landwirtschaftlichen Flächen in Photovoltaik-Land hat aber auch weitere Folgen, die nicht bedacht werden. Unsere Landwirtschaft läuft zu einem recht großen Teil auf Pachtflächen. Der durchschnittliche Anteil an Eigentumsflächen in Deutschland liegt bei 38 Prozent, sprich die Betriebe müssen 62 Prozent der Flächen für eine ökonomisch sinnvolle Landwirtschaft dazupachten. Energieinvestoren zahlen aber ein Vielfaches an Pacht als es Landwirt*innen können.
Folge Nummer 2: Mit wem glauben Sie, unterschreiben die meisten Flächeneigentümer neue Pachtverträge? Genau: Immer mehr Flächen gehen an Energieinvestoren und im Umkehrschluss steht der Landwirtschaft immer weniger Fläche für die Lebensmittelproduktion zur Verfügung. Landwirt*innen in Flächennot müssen aus den verbliebenen Hektaren an Ackerland und Wiesen weiter intensivieren, sie müssen alles aus dem restlichen Land herausholen, wenn sie noch von ihrem Beruf leben wollen.
Damit haben wir ein Problem: Denn es sind die Landbewirtschaftenden, die flächenwirksame Offenland-Lebensräume für unsere heimische Artenvielfalt aus Wildbienen, Hummeln, Schmetterlingen & Co. schaffen und pflegen. Wenn sie nun im Flächendruck mit dem Rücken an der Wand stehen, finden wir als NBL weniger Gehör für Maßnahmen wie Blühstreifen, Grünland-Extensivierung, Untersaaten und die weiteren, vielfältigen Handlungsempfehlungen, mit denen wir Lebensräume auf Agrarflächen fördern wollen. Wir haben mit Beginn des Ukraine-Kriegs gesehen: Flächenstilllegungen und andere ökologisch sinnvolle Maßnahmen sind immer das Erste, was fallengelassen wird.
Die Lösung: Agri-Photovoltaik
Genug des Fatalismus, aber es ist wichtig, diese Zusammenhänge zu sehen, um auch die richtige Lösung zu finden. Denn schließlich kommt es immer auf die Findung eines positiven Lösungsansatzes an!
APV (engl. Agrivoltaics) besteht aus Freiflächen-Anlagen, die aber nicht bodennah, sondern auf bis zu 5 Metern Höhe aufgeständert aufgestellt werden. Nach wie vor müssen wir uns an eine Veränderung in der Landschaft gewöhnen, aber das fällt hier aufgrund vieler Vorteile leichter.
Unter den Anlagen kann das Land nach wie vor bewirtschaftet werden – ob als Acker, Wiese, Weide oder im Obst-, Gemüse- und Weinbau. Es geht also kaum landwirtschaftliche Fläche verloren.
Durch die gleichzeitige Nutzung ein und derselben Fläche für Energiegewinnung (oben) und Landwirtschaft (unten) errechnet das Fraunhofer Institut für solare Energie einen Flächennutzungsgrad von 180 Prozent. Statt 100 Prozent Landwirtschaft oder 100 Prozent Energienutzung. Das ist eine Form der Intensivierung, die wir als NBL im Licht der Energiewende begrüßen.
Die APV-Anlagen ermöglichen in Sonderkulturen ganz neue Möglichkeiten der Kulturführung: Starkregen kann durch die Module abgefangen und in Zisternen geleitet werden, das Wasser kann in trockenen Zeiten zur Bewässerung genutzt werden. Durch dieses Feuchtemanagement können Fungizide (Spritzmittel gegen Pilzbefall) reduziert werden.
Bei einem Besuch an der APV-Anlage im Weinbau an der Hochschule Geisenheim konnte ich mich persönlich davon überzeugen, dass das Pflanzenwachstum unter der APV nicht schwächer, sondern sogar stärker ist! Es sind also keine Ertragseinbußen durch eine Teilverschattung zu befürchten.
Dauerhafte blühende Saumstrukturen
Die APV muss auf Ständern stehen, die auf reihenförmigen Punktfundamenten verankert sind. Diese Reihen zwischen den Nutzflächen sind tatsächlich nur umständlich zu bewirtschaften. Hier besteht eine tolle Chance, dauerhafte blühende Saumstrukturen in die Landwirtschaft zu integrieren.
Alles in allem ist APV die Lösung vieler Probleme, besonders in einem flächenmäßig so begrenzten Land wie Deutschland. Flächenmehrfachnutzung kann Mehreinkommen erzeugen, die Mehrkosten für die Aufständerung amortisieren sich mittelfristig.
Im Idealfall bauen landwirtschaftliche Betriebe selber APV auf ihren Eigentumsflächen und werden so auch zu Energiewirt*innen. Das Mehreinkommen durch Stromeinspeisung verschafft ihnen dann auch die Spielräume für mehr Blüten nicht nur in den Ständerreihen, sondern auf dem gesamten Betrieb. Eine Chance, die Landschaft aufblühen zu lassen – worauf warten wir noch?