

„Die Menschen bringen das NBL zum Blühen“
Im Gespräch mit Utto Baumgartner, dem ersten Leiter des Netzwerks Blühende Landschaft. Was können wir aus der Vergangenheit lernen? Was wünscht er dem NBL für die Zukunft? Und wo kam damals überhaupt das ganze Geld für das NBL her?
Di 11. Juli 2023 BieneMenschNatur.44, Interview
Im Jahr 2003 wurde das Netzwerk Blühende Landschaft (NBL) maßgeblich von Utto Baumgartner und Thomas Radetzki gegründet. Utto Baumgartner hat als Netzwerk-Leiter in den ersten Jahren bis 2008 das NBL thematisch und menschlich mit Leben, Inhalt und besonders viel „Brummen und Summen“ angefüllt. Zum 20-jährigen Bestehen des NBL möchten wir seine Perspektive auf das Netzwerk von damals und heute erfahren. Utto Baumgartner lebt und arbeitet mit anderen Schwerpunkten weiterhin in Niederbayern.
Lieber Utto, ganz herzlichen Dank, dass Du Dich zum Interview bereit erklärst. Wie geht es Dir?
Utto Baumgartner (lacht): Danke, mir geht’s gut. Mein Aufgabengebiet hat sich ja sehr verändert. Aus der Naturschutzarbeit und den Bienenvorträgen bin ich ganz raus, ich arbeite jetzt therapeutisch mit Menschen. Für mich ist das der richtige Schritt gewesen. Es hat mich gefreut, dass Du, Holger, damals 2008 meine Aufgaben und die Leitung des NBL übernommen hast. Es ist echt schön, wie sich das Leben entwickelt.
Heuer feiert das Netzwerk Blühende Landschaft (NBL) 20 Jahre. Was empfindest Du beim Blick aufs NBL und hast Du damals 2003 damit, gerechnet einmal dieses Jubiläum zu begehen?
Baumgartner: Soweit habe ich nicht gedacht. In der Anfangszeit war ich froh, dass das NBL überhaupt funktionierte und wahrgenommen wurde. Dass es sich so weit entwickelt, hab ich mir nicht träumen lassen. Es war ein Pionierprojekt und anfangs war unklar, ob das Kind überhaupt laufen lernt. Dass sich das NBL so entwickelt hat ist grandios!
Ja, die Entwicklung ist wirklich toll. Das ist durch die starken Wurzeln, die ihr gelegt habt, möglich geworden.
Ja, Wurzeln sind wichtig, aber Wasser, Nährstoffe, Blätter, Äste braucht‘s zum Wachsen – und die Menschen brachten und bringen das Netzwerk zum Blühen!
Anfangs war das NBL ja „nur“ eine fixe Idee von Thomas Radetzki und dir. Wie kam es dazu, dass sich eine Gruppe initiativer Menschen zusammengefunden hat und wie habt ihr in der prekären wirtschaftlichen Situation, in der Mellifera als Trägerverein auch damals ewige Male steckt(e), das NBL losgetreten?
„Nur eine fixe Idee“ war es nicht. Wir haben oft und lange über die Notlage der Blüten besuchenden Insekten diskutiert. Und aus dem „Da müsste man eigentlich etwas tun…“ ist dann in einer typischen Thomas-Radetzki-Aktion ein „Wir machen das jetzt!“ geworden. Er hatte mich immer wieder gefragt, ob ich die Gründung nicht in die Hand nehmen wollte. Wir haben uns gegenseitig ermutigt und Lösungen für das zunächst unmöglich Scheinende gesucht. Möglich war die Gründung des NBL damals nur durch die Unterstützung von Mellifera und der wesensgemäßen Imkerschaft.
Der direkte, schmerzhafte Anlass für die Gründung des NBL war dann das bundesweite Bienensterben im Winter 2002/03. In diesem Winter haben von meinen 30 eingewinterten Bienenvölkern nur 5 Völker überlebt. Das war ein großer Frust und eine harte Enttäuschung für sehr viele Imker. Thomas und ich hatten im Jahr zuvor zusammen mit Uwe Bodenschatz die Einraumbeute entwickelt und es wurde uns nun noch deutlicher bewusst, dass es nicht ausreicht, nur auf die Bienenhaltung zu schauen. Man musste auch nach draußen, in die Umgebung blicken, um diese Verluste zu verstehen. Auch die wesensgemäße Bienenhaltung hat keinen Bestand, wenn es keine blühende Landschaft gibt. Wichtig war es uns dabei von Anfang an, die Gräben zwischen Naturschützern und Imkern zu überwinden.
Anfangs hatte ich noch halbtags bei einer Öko-Kontrollstelle gearbeitet und habe die NBL-Tätigkeiten von Vortragshonoraren finanziert. Ich bin froh gewesen, wenn ich meine Reisekosten finanzieren konnte und am Ende bei Null rausgekommen bin. Das war reines Ehrenamt. Später kam dann der Vorschlag von Thomas, ein Basishonorar über Mellifera zu zahlen, da auch Stück für Stück eigene Finanzierung für die NBL-Arbeit zur Verfügung stand. So wurde es möglich, auch andere Felder professioneller zu beackern.
Aber am Anfang hast Du alleine gearbeitet?
Ja, anfangs bin ich alleine gewesen bei Mellifera, aber Thomas war mir immer eine ganz große Stütze. Dann habe ich Stück für Stück das Netzwerk aufgebaut, Unterstützer gesucht und gefunden, dies insbesondere im Ökolandbau, wo ich gut vernetzt war, und dann auch relativ bald in den Naturschutzverbänden. Schnell kamen auch wichtige Kontakte zur Stiftung Ökologie und Landbau (SÖL) über meine damalige Lebensgefährtin Britta Weitbrecht zustande, die ebenfalls sehr gut vernetzt war, und zu Ulrich Hampl, damals noch am Schul- und Seminarbauernhof der SÖL in der Pfalz. Und bald hab ich auch den Stadtgärtner von Mössingen Dieter Felger besucht, der für seine bunten Stadtideen brannte.
Heute ist bei unseren NBL-Online-Arbeitstreffen oft eine zweistellige Zahl von Mitarbeiter*innen anwesend, damals bist Du anfangs fast alleine aktiv gewesen. Was war die größte Herausforderung in der Gründungszeit für Dich?
Den Überblick zu behalten über die Kontakte, die gepflegt und bedient werden müssen und über all die größeren und kleineren Projekte, die angestoßen wurden. Mental bin ich da an meine Grenzen gekommen. Damals wäre es schon gut gewesen, an mehreren Orten gleichzeitig zu sein. Aber irgendwie ist es gelungen. Es gab so viele schöne Erlebnisse, aktive Personen und schöne Projekte, die mit blühenden Flächen vorzeigbar waren. Und durch die vielen Vorträge bekam ich viel positive Resonanz zurück.
Wie lange hat es gedauert, bis weitere Personen zum NBL kamen?
Du, Holger, warst die erste weitere Person bei Mellifera, die mich ja dann in einer Art stillen Umweiselung abgelöst hat. Vorher hatte schon Nicole Krüger bei der SÖL über Projektmittel für das NBL mitgearbeitet.
Was war in den ersten Jahren des NBL der Schwerpunkt der NBL-Tätigkeit?
Die Kontakte zu den Institutionen zu etablieren und zu stärken, insbesondere Naturschutzverbände, wie z.B. dem Landesbund für Vogelschutz oder dem BUND sowie zu den Ökolandbau- und den Imkerverbänden. Anfangs hatten wir einen Schwerpunkt auf die Landwirtschaft gelegt und zwar deshalb, weil die Landwirtschaft der größte Flächennutzer mit den größten Problemen und auch Chancen für die Bestäuberinsekten ist. Das erste größere finanzierte Projekt war der Blühende Chiemgau, dessen Förderung Britta Weitbrecht gemanagt hatte. Damit wurde das NBL erstmals im größeren Stil öffentlich sichtbar. Ein Highlight war es, beim Insekten-Monitoring erstmals zu sehen, wie sich die Insekten entwickeln, wenn die Landschaft blüht.
Damals war das noch nicht so klar und logisch, wie wir das heute sehen.
Ja, Blühflächen in die Landwirtschaft zu integrieren, war damals alles andere als selbstverständlich. Wenn etwas geblüht hat, dann war das vor allem Senf als Zwischenfrucht. Daneben gab es Flächen, die eher für das Wild als Deckung und Äsung ausgelegt waren. Das war wiederum ein Anknüpfungspunkt an die Jägerschaft, da hat uns Werner Kuhn von der bayerischen Landesanstalt in Veitshöchheim sehr geholfen – über ihn kam übrigens auch der Kontakt zu Ernst Rieger von Rieger & Hofmann zustande.
Gab es damals nicht auch noch die verpflichtende EU-Flächenstilllegung?
Stimmt, die Flächenstilllegung zur Vermeidung von Überproduktion, die aber größtenteils einfallslos war. [Anm. Red: damals gab es Überproduktion von Lebensmitteln und die Preise waren sehr niedrig; zur Hebung der Preise für die Landwirte wurden verschiedene Maßnahmen, u.a. die Stilllegung, durchgeführt.] Man hat vor allem geschaut, dass die Flächen nicht zu sehr verunkrauten, um sie später wieder problemlos bewirtschaften zu können.
Welches sind für Dich die größten Stärken des NBL?
Die größte Stärke des NBL ist, dass ihr in der Fläche seid und dass das NBL die ganze Landschaft miteinbezieht. Wenn man die Karten auf der Webseite anschaut, sieht man, dass dies in relativ großen Umfang bereits gelungen ist. In ganz Deutschland finden sich Flächen und Ansprechpartner.
Das NBL lebt vor allem – wie der Name schon sagt – von seiner Netzwerkarbeit. Wen würdest du dir als zusätzlichen möglichen Netzwerkpartner wünschen?
Ja, das ist ganz eindeutig: Mein Wunschpartner war und ist der Deutsche Bauernverband! Eigentlich sollte es für die konventionelle Landwirtschaft eine Selbstverständlichkeit sein, aktiv beim Netzwerk mitzuwirken. Wenn das geschehen würde, dass die konventionelle Landwirtschaft sich die Ideen für mehr Blütenvielfalt des NBL zu eigen machen und nicht nur für Greenwashing nutzen würde, wäre das ein enormer Schritt in die richtige Richtung.
Ein bedeutendes Aktivitätsfeld des NBL schon seit der Gründungszeit sind Blühflächen und -streifen in der Landwirtschaft, auch heute noch, z.B. im BienenBlütenReich. Warum habt ihr eigentlich die Mischung Blühende Landschaft eingeführt?
Da hat einiges zusammengewirkt. In der Landwirtschaft gibt es verschiedene einfache einjährige Möglichkeiten für Blüten zu sorgen, z.B. Untersaaten, Zwischenfrüchte, einfache einjährige Blühmischungen mit Senf oder Phacelia. Mehrjähriges fehlte. Wir sind zuerst relativ naiv rangegangen, und das ist auf der Seite des NBL auch ein Lernprozess gewesen. So kam z.B. großer Protest aus der Ackerwildkraut-Szene, dass mehrjährige Blühmischungen Wildkräuter gefährden könnten. Auch aus der Jägerschaft gab es Bedenken, die sich für mehr Wildäsung einsetzten. Dann haben wir uns mit Ernst Rieger getroffen und ihm gesagt: „Schau her, wir brauchen eine Mischung, die auch den Naturschutz integriert!“. Thomas van Elsen von den Ackerwildkraut-Spezialisten und weitere Personen aus dem Naturschutz sind dabei stark involviert gewesen. Daraus ist dann als erstes die Blühende Landschaft Süd entstanden, danach die Mischungen für die anderen Großregionen.
Vergangenen Herbst ist eine wissenschaftliche Untersuchung zur Wildbienen-Diversität verschiedener Ackerbrache-Mischungen erschienen, darin ist die Mischung Blühende Landschaft eine der ökologisch wertvollsten Mischungen – also quasi der Gold-Standard. Außer einigen punktuellen Veränderungen ist die Mischung seit 17 Jahren unverändert – ich finde, das war ganz schön visionär von Euch!
Ja, das ist der Tatsache zu verdanken, dass das Netzwerk so breit aufgestellt war und so viele Menschen und individuelle Akteure mit breitem Sachverstand aus verschiedenen Verbänden, Ökolandbau, Naturschutz und Ackerwildkräuter dabei beteiligt waren. Das macht gute Netzwerkarbeit aus. Toll, das freut mich sehr! Es ist schön zu sehen, was damalige Netzwerk-Arbeit bewirkt hat.
Aktuell befindet sich Mellifera wieder in einer Veränderungssituation – Vorstand und Beirat formieren sich neu. Welche Rolle sollte aus Deiner Sicht das NBL hierbei spielen?
Dafür kenne ich die Interna zu wenig. Damals war Mellifera mit der wesensgemäßen Bienenhaltung gewissermaßen die “Mutter“ und zugleich hatte das NBL schon immer eine etwas ungewöhnliche und eigene Stellung unter den Mellifera-Initiativen. Thomas und ich haben sehr gleichberechtigt neben- und miteinander gearbeitet. Mellifera hat das NBL anfangs nahezu komplett finanziert und Thomas hat selber auch viel Zeit und Energie in das NBL gesteckt – das war auch ein Risiko. Heute trägt sich das NBL offenbar gut selber. Aber ich denke, es ist wichtig, dass die Wurzeln nicht vergessen werden. Das NBL gäbe es nicht, wenn nicht viele wesensgemäße Imker nach schmerzhaft gesammelten Erfahrungen entschieden hätten, wir kümmern uns und investieren hier. Es war klar, dass es nicht nur um die Honigbiene geht, Thomas und ich haben von Anfang an die Wildinsekten mit im Blick gehabt. Aber die Honigbiene war zu Beginn natürlich der Indikator und vor allem auch ein wichtiger Sympathieträger, durch den die Imker viele Menschen erreicht haben, die wir sonst nicht erreicht hätten. Das hat sich dann viele Jahre später z.B. beim bayerischen Bienen-Volksbegehren als sehr fruchtbar erwiesen. Ich halte es für wichtig, dass alle Initiativen in den Strukturen bei Mellifera sichtbar sind.
Was denkst Du, hat die wesensgemäße Bienenhaltung direkt zum NBL beizusteuern?
Die Art, auf die Natur, auf die Landschaft und die Lebe-Wesen zu schauen. Bei der wesensgemäßen Bienenhaltung wird zuerst auf die Bedürfnisse der Bienen – des „Bien“ – geschaut und nicht auf die des Imkers. Darauf zu schauen, was das Wesen in der Landschaft braucht und erst ganz am Schluss darauf, wie das dem Menschen nützt. Diesen Blick hat das NBL auch auf andere Wesen übertragen – der Blick auf die Wildbienen, den Ralph Braun geprägt hat oder auf die Schmetterlinge durch dich Holger. Diese Art, auf das ganze System und die einzelnen Wesen zu gucken ist die Wurzel der wesensgemäßen Bienenhaltung. Damals war das sehr neu und wesensgemäße Bienenhaltung galt vielen als Spinnerei.
Zum Abschluss: Möchtest du dem NBL noch etwas zu seinem Geburtstag mitgeben?
Ich wünsche dem NBL von Herzen, dass es noch weiter in die Fläche geht und wie ein Flächenbrand wird. Und dafür braucht es unbedingt auch die Landwirtschaft. Dann sollte es in jeder Gemeinde Flächen geben, die auf die Situation aufmerksam machen. Ich wünsche Euch und uns, dass sich das NBL politisch noch mehr vernetzt und in der Wahrnehmung der Politik verankert wird. Es braucht hier einen grundlegend anderen Blick auf Landschaft und auf Natur – nicht nur Landschaftskosmetik. Das würde die Wahrnehmung und Seriosität des NBL noch mehr unterstützen, wodurch man Teil von etwas Größerem werden könnte, in dem das NBL einen wichtigen Beitrag leistet. Und ich wünsche mir, dass Mellifera als Gesamtorganismus betrachtet wird, in dem das NBL einen gleichberechtigten Platz neben den anderen Projekten und Initiativen hat, denn ohne Mellifera würde es das NBL ja gar nicht geben.
Das Interview führten Holger Loritz und Nick Leukhardt.