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Wenn Blüten Landwirten helfen

Weniger Insektizide und weniger Schädlinge: Ein Anwendungsprojekt zeigt, wie das gelingen kann

Di 17. Dezember 2019 BieneMenschNatur.37, Forschung
Blühstreifen neben einem Kohlfeld (Foto: Paul van Rijn)
Blühstreifen neben einem Kohlfeld (Foto: Paul van Rijn)

Das ist den meisten klar: Blühstreifen bieten in der oft ausgeräumten Landschaft Nahrung für Honigbiene, Hummel & Co. Aber was Blühstreifen sonst noch können, wissen viele nicht.

Blühstreifen bieten zum Beispiel Kleinsäugern, Wild und Vögeln Nahrung, Schutz und Wanderkorridore. Zwischen Acker und Gewässer angelegt, schützen sie die Gewässerfauna, indem sie die Abschwemmung von Agrarchemikalien und Dünger von den anliegenden Äckern in Gewässer reduzieren. Blühstreifen können aber auch belastet sein, wenn angrenzende Acker- oder Obstkulturen mit Insektiziden behandelt werden. Denn über Wind und Grundwasser können sie auf nahe Streifen gelangen und dort über Kontamination von Nektar und Pollen Bienen gefährden.

Negativspirale durch Insektizidverbrauch (Foto: Dr. Anna Kosubek) Negativspirale durch Insektizidverbrauch (Foto: Dr. Anna Kosubek)

Was also tun? Insektizide einfach weglassen? Blattläuse würden sich freuen. Ganz so einfach ist es leider nicht. In der Landschaft fehlen vielerorts Insekten. Mit diesen fehlen nicht nur die Bestäuber, sondern auch die Feinde von Ackerschädlingen. Finden Schädlinge keine Gegenspieler, richten sie schnell Schaden an, weshalb mehr Insektizide eingesetzt werden, die dann wiederum die nützlichen Insekten dezimieren. Eine Negativspirale, die Landwirte von Insektiziden abhängig macht.

Diese Abhängigkeit zu durchbrechen und in eine Positivspirale umzukehren ist möglich. Professor Dr. Felix Wäckers, der seit 30 Jahren im Bereich der Förderung von Nützlingen forscht, sagt dazu: „Vielen ist zu wenig bewusst, dass auch Insekten der biologischen Schädlingsbekämpfung auf Nektar und Pollen als Nahrung angewiesen sind. Wir konnten zeigen, dass Schlupfwespen, natürliche Feinde der Kohlmotte (einem bekannten Kohlschädling), in einem Kohlfeld ohne Blühpflanzen nach zwei bis sechs Tagen verhungert waren und somit kaum Schädlinge zu parasitieren vermochten. Indem wir der Schlupfwespe dagegen für sie wichtige Blühpflanzen gaben, wurde ihre Lebensdauer auf 25 bis 40 Tage erhöht, woraufhin jede einzelne kleine Schlupfwespe mehr als 300 Kohlmotten-Raupen eliminierte.“ Dieses Beispiel zeigt, wie wichtig Nektar- und Pollenangebot für diese Nützlinge ist. Die Wahl der Pflanzen ist dabei ausschlaggebend. Denn nicht bei jeder Pflanze ist der Nektar für diese erreichbar.

Mit speziellen Blühstreifen kann man gezielt Bestäuber UND natürliche Feinde von Schädlingen fördern. Erstere wandern vom Streifen in die benachbarte Ackerfläche und helfen den Schädlingsdruck zu minimieren. Forschungen in den Niederlanden, in England und der Schweiz zeigen, dass über solche spezifisch konzipierte Nützlingsblühstreifen zum Beispiel Blattlauskolonien effektiv unterdrückt werden können. So werden Insektizide gar nicht erst nötig, die Blühstreifen besuchende Biene davor verschont und weitere Nützlinge gefördert.

Eine Positivspirale entsteht. Dass solche Blühstreifen Erfolg haben können, wissen wir von ausländischen Praxisprojekten. So konnte etwa in den Niederlanden, wo der Ansatz seit 15 Jahren etabliert ist, im konventionellen Weizen- und Kartoffelanbau mit Hilfe spezieller Blühstreifen der Insektizideinsatz um mehr als 90 Prozent reduziert werden.

Die gezielte Förderung von Nützlingen kann Insektizide ersetzen.

Wende zur Positivspirale durch Blühstreifen (Foto: Dr. Anna Kosubek) Wende zur Positivspirale durch Blühstreifen (Foto: Dr. Anna Kosubek)

Das Netzwerk Blühende Landschaft (NBL) sieht in diesen Nützlingsstreifen einen Ausweg aus der Insektizidabhängigkeit. Im Rahmen des eigenen Anwendungsprojektes Biene-Blüte-Nützling (BBN) werden seit 2018 auf 17 landwirtschaftlichen Betrieben einjährige Nützlingsblühstreifen angelegt. Aufgrund ihrer Flexibilität eignen sich einjährige Blühstreifen gut als Einstieg in die Thematik. Gefördert wird das Projekt von ALDI SÜD. Bei dem Discounter sind die zulässigen Grenzwerte für Insektizidrückstände bereits seit 2006 strenger als die gesetzlichen Vorgaben. Seit 2016 hat das Unternehmen zudem die aktive Spritzanwendung auf dem Feld von acht bienentoxischen Wirkstoffen beim Anbau von Obst und Gemüse in Deutschland verboten. Mit dem Projekt BBN möchte ALDI SÜD auch innovative Ansätze mit Mehrwert für die Biodiversität unterstützen. Fakt ist: Lebensmittel für ALDI SÜD werden auf einer riesigen Fläche angebaut. Den Insektizideinsatz auf solch großen Flächen senken zu können, wäre ein riesiger Fortschritt für Biene & Co.

Im Jahr 2020 sollen auf zwölf weiteren Betrieben neue Streifen erblühen. Mit dem Projekt BBN möchte das NBL Landwirte unterstützen, vermehrt die natürliche biologische Schädlingsbekämpfung statt Insektizide zu nutzen. Getreu nach unserem Motto: „Gemeinsam mit der Landwirtschaft“ wollen wir ein Modell entwickeln, das Landwirten nicht noch mehr Vorschriften macht, sondern ihnen praktikable Alternativen liefert. Es geht uns darum, ihnen eine breite Palette an Maßnahmen an die Hand zu geben, sodass sie nach eigener Expertise die für ihren Standort verträglichste Schädlingsbekämpfung auswählen können. Das freut Fisch und Vogel sowie Landwirt und Imker gleichermaßen.

Dr. Anna Kosubek / Dr. Matthias Wucherer


Biene sitzend auf Blüte